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  Lesen schadet den Augen

 

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                   Thema: Analyse von Prosatexten - Der Erzähler

 

Aufgabe 1 (Reproduktion):

Stellen Sie knapp in Stichworten texttypische Merkmale der Novelle zusammen und 

  erklären Sie die Gattung.

 

Aufgabe 2: (Analyse und Interpretation)

Untersuchen Sie den vorliegenden Novellenbeginn nach den geläufigen Kriterien:

Inhalt – Personen und Raum - erzähltechnische Mittel  (s.a. Aufg. 3) –  – Erkennungsmerkmale des traditionellen Erzählens - Gattungscharakter

 

Aufgabe 3 (Reproduktion/ Transfer):

Erklären Sie die Art und Rolle des Erzählers an einer Textpassage der Novelle „Katz und Maus“  und vergleichen Sie  hierin  beide Texte: 

 

„Ich aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte, muß nun schreiben.“    ( … ) doch nicht die Furcht, sondern das übliche Frösteln nach zu langem Baden besetzte Mahlke und nahm seiner Haut die Glätte.“ (dtv  Reihe Hanser -  Ausgabe 2006, S. 8;  dtv - Ausgabe 1997 S. 6)     

                               (Nutzen Sie durchaus Ihre bisherige Lektürekenntnis.)

 

Text 1

Das Amulett (Conrad Ferdinand Meyer)

 

Alte vergilbte Blätter liegen vor mir mit Aufzeichnungen aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts. Ich übersetzte sie in die Sprache unserer Zeit.

 

Erstes Kapitel

Heute am vierzehnten März 1611 ritt ich von meinem Sitze am  Bieler See hinüber nach Courtion zu dem alten Boccard, den Handel um eine mir gehörige, mit Eichen und Buchen bestandene Halde in der Nähe von Münchweiler abzuschließen, der sich schon eine Weile hingezogen hatte. Der alte Herr bemühte sich in langwierigem Wechsel um eine Preiserniedrigung. Gegen den Wert des fraglichen Waldstreifens konnte kein ernstlicher Widerspruch erhoben werden, doch der Greis schien es für seine Pflicht zu halten, mir noch etwas abzumarkten 1. Da ich indessen guten Grund hatte, ihm alles Liebe zu erweisen, und überdies Geldes benötigt war, um meinem Sohn, der im Dienste der Generalstaaten steht und mit einer blonden runden Holländerin verlobt ist, die erste Einrichtung seines Hausstandes zu erleichtern, entschloss ich mich, ihm nachzugeben und den Handel rasch zu beendigen.

Ich fand ihn auf seinem altertümlichen Sitze einsam und in vernachlässigtem Zustande. Sein graues Haar hing ihm unordentlich in die Stirn und hinunter auf den Nacken. Als er meine Bereitwilligkeit vernahm, blitzten seine erloschenen Augen auf bei der freudigen Nachricht. Rafft und sammelt er doch in seinen alten Tagen, uneingedenk,  dass sein Stamm mit ihm verdorren und er seine Habe lachenden Erben lassen wird.

Er führte mich in ein kleines Turmzimmer, wo er in einem wurmstichigen Schranke seine Schriften verwahrt, hieß mich Platz nehmen und bat mich, den Kontrakt 1 schriftlich aufzusetzen. Ich hatte meine kurze Arbeit beendigt und wandte mich zu dem Alten um, der unterdessen in den Schubladen gekramt hatte, nach seinem Siegel suchend, das er verlegt zu haben schien. Wie ich ihn alles hastig alles durcheinanderwerfen sah, erhob ich mich unwillkürlich, als müsste ich ihm helfen. Er hatte eben wie in fieberischer Eile ein geheimes Schubfach geöffnet, als ich hinter ihn trat, einen Blick hineinwarf und -  tief aufseufzte.

In dem Fache lagen nebeneinander zwei seltsame, beide mir zu wohl bekannte Gegenstände: ein durchlöcherter Filzhut, den einst eine Kugel durchbohrt hatte, und ein großes rundes Medaillon von Silber mit dem Bilde der Muttergottes von Einsiedeln in getriebener, ziemlich roher Arbeit.

Der Alte kehrte sich um, als wollte er meinen Seufzer beantworten und sagte in weinerlichem Tone:

„Jawohl, Herr Schadau, mich hat die Dame von Einsiedeln noch behüten dürfen zu Haus und im Felde; aber seit die Ketzerei in die Welt gekommen ist und auch unsre Schweiz verwüstet hat, ist die Macht der guten Dame erloschen, selbst für die Rechtgläubigen!  Das hat sich an Wilhelm gezeigt - meinem lieben Jungen.» Und eine Träne quoll unter seinen grauen Wimpern hervor.          

     Mir war bei diesem Auftritte weh ums Herz, und ich richtete an den Alten ein paar tröstende Worte über den Verlust seines Sohnes, der mein Altersgenosse gewesen und an meiner Seite tödlich getroffen worden war. Doch meine Rede schien ihn zu verstimmen, oder er überhörte sie, denn er kam hastig wieder auf unser Geschäft zu reden, suchte von neuem nach dem Siegel, fand es endlich, bekräftigte die Urkunde und entließ mich dann bald ohne sonderliche Höflichkeit.

     Ich ritt heim. Wie ich in der Dämmerung meines Weges trabte, stiegen mit den Düften der Frühlingserde die Bilder der Vergangenheit vor mir auf mit einer so drängenden Gewalt, in einer solchen Frische, in so scharfen und einschneidenden Zügen, dass sie mich peinigten.

Das Schicksal Wilhelm Boccards war mit dem meinigen aufs engste verflochten, zuerst auf eine freundliche, dann auf eine fast schreckliche Weise. Ich habe ihn in den Tod gezogen. Und doch, so sehr mich dies drückt, kann ich es nicht bereuen und müsste wo wohl heute im gleichen Falle wieder so handeln, wie ich es mit zwanzig Jahren tat. Immerhin setzte mir die Erinnerung der alten Dinge so zu, dass ich mit mir einig wurde, den ganzen Verlauf dieser wundersamen Geschichte schriftlich niederzulegen und so mein Gemüt zu erleichtern.

 

Zweites Kapitel

Ich bin im Jahre 1553 geboren und habe meinen Vater nicht gekannt, der wenige Jahre später auf den Wällen von St. Quentin fiel. ( …) 

     Meine Mutter folgte dem Vater nach kurzer Frist ins Grab, und ich wurde von einem mütterlichen Ohm aufgenommen, der seinen Sitz am Bieler See hatte und eine feine und eigentümliche Erscheinung war.  

                                                                       (aus: Conrad Ferdinand Meyer, Das Amulett )

                                                                             1 Kaufvertrag    2 markten = handeln, feilschen      

                                                                              Klausur  Jg. 12  GBE   02/ 2007 (Ad) ©  

 

> PDF - Erzähler   in der Novelle

> PDF - Aufsatzform Kl. 10 Analyse & Textproduktion:

       Heinrich Böll, Der Zug war pünktlich

              (Er-Erzählung, 1949)

 

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