“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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       Interpretation des Gedichts der Autorin  Christine Brückner (1921 – 1996)

                                             Positano

                               So saß ich schon einmal/ auf einem Stein

                                                (leider nicht copyfrei )

 

In dem Gedicht Christine Brückners „Positano“, von dem mir keine Entstehungsangaben vorliegen, wird ein zurückliegendes Erlebnis, vielleicht ein Liebeserlebnis, mit dem zu einem späteren Zeitpunkt verglichen. Der Text handelt von einer Person, wahrscheinlich einer Frau, die durch den Anblick eines Bildes (Fotos) an die Vergangenheit erinnert wird, ein Bild jedoch von einer anderen Umgebung, aber mit dergleichen Person und einem „damaligen“ Ich. (Das Gedicht ist wohl als Liebesgedicht aufzufassen.)  Die Autorin Christine Brückner hat vielleicht die Absicht, in dem Gedicht die Veränderungen eines Einzelnen durch die Zeit (der Liebe) zu verdeutlichen.

Äußerlich ist das Gedicht in einer Strophe, bestehend aus neun Zeilen, zusammengefasst. Ein Reimschema wird nicht gewählt, wobei alle Verszeilen bis auf die erste und dritte Zeile männliche Kadenzen haben. Auch ein regelmäßiges Versmaß ist nicht zu erkennbar.

Die innere Form dieses Gedichts ist trotz der nur einstrophigen Beschaffenheit, in zwei Teile aufzuteilen. Die Zeilen eins bis fünf sollen die äußere Gestalt der Frau darstellen. Auch werden indirekt die Gefühlslage der Frau und deren momentaner Charakter erwähnt.- Die Zeilen sechs bis neun wiederum verdeutlichen die Umgebung oder Umwelt der auf dem Bild dargestellten Frau.

Auch diesen vier Zeilen wird eine doppelte Bedeutung zugeteilt; die zweite Bedeutung ist die Beschreibung und Charakterisierung der hier erwähnten Person. Wie man diese beiden Sinnabschnitte, die in sich wieder unterteilt sind, deuten soll, wird im weiteren Verlauf meiner Interpretation aufgezeigt:

Der erste Sinnabschnitt, also die Zeile eins bis fünf, sollen die Körperhaltung der Frau erläutern. Durch die exakte Beschreibung und Lage der einzelnen Gliedmaßen ist es möglich, sich die Person und deren Haltung genauestens vorzustellen. Der gesenkte Kopf und der durch die umschlungenen Knie gekrümmte Rücken deuten auf eine Art Duck- oder Angsthaltung hin. Das unbeständige Versmaß lässt sich ebenfalls als Unbeständigkeit der Gefühle oder sogar des Vertrauens deuten. Durch die Wortwahl in Zeile fünf („und einer hielt mich im Bild fest“) wird ebenfalls eine Art von Zwang hervorgerufen. In der Kadenz liegt ein immer wieder auftretender Wechsel zwischen männlicher und weiblicher Kadenz vor.

Der zweite Sinnabschnitt, also die Zeilen sechs bis neun, soll, wie erwähnt, zuerst die Umgebung oder auch Umwelt der Frau und zweitens ihr Wesen vermitteln. Durch die Erwähnung „von einem anderen Stein“ (Z 6) und „einem anderen Meer“ (Z 7) ist beabsichtigt, die Gefühle zu beschreiben. Alles verläuft jetzt in einer anderen Atmosphäre. Das Meer symbolisiert die Losgelassenheit, die zur Deutung von Glückseligkeit, Freude und Zufriedenheit Anlass geben. Zwar wurde wiederum ein Bild (Foto) angefertigt, jedoch von einer „andren Person“. Auch hier wird wiederum die Freiheit der Frau angedeutet. Durch die Zeile acht („ein anderer machte das Bild“)  werden erneut Glücks-  und Freiheitsgefühle erläutert. In diesem zweiten Sinnabschnitt verändert sich das Versmaß. Eine Beständigkeit tritt ein, die durch die von Zeile sechs bis neun angewendeten männlichen Kadenzen zum Vorschein kommt. Durch diese Änderung werden ebenfalls die Beständigkeit und Sicherheit der Gefühle dieser Frau sichtbar gemacht.  Auffallend ist, dass in diesen letzten vier Zeilen je einmal das Wort „anderen“ oder ähnlich benutzt wird, wohingegen im ersten Sinnabschnitt keine so eindeutige Wortwiederholung zu finden ist. Dies kann dem Leser schon beim ersten oder zweiten Lesen auffallen. Dadurch wird ebenso die Aufteilung dieser einzigen Gedichtstrophe erkennbar.

Auffallend und zum Überlegen auffordernd ist der Einleitungsteil: So saß ich schon einmal. Durch ihn wird der Kontrast zwischen den Zeilen zwei bis fünf  und  sechs bis neun hervorgehoben. Der Inhalt, wie er hier geschildert ist, dass sich Gefühle einer Frau durch zwei verschiedene Personen von Ängstlichkeit zu Glückseligkeit verändern können, ist auch heutzutage zu erleben. Die Situation ist durchaus realistisch gestaltet. Deshalb gefällt mir das Gedicht.

                                  Hausaufgabe: Maren Kreyenhagen ©  - GBE Kl. 10   9/1997

 

Lehrerbemerkung:

1. Solide und lobenswerte Bemühung, Formales inhaltlich zu deuten.

2. Der Titel müsste deutlicher angesprochen werden: „Positano“ und die ‚Szenenbeschreibung’ erinnern an ein Urlaubsfoto, das zur Erinnerung gemacht wurde. Zwei Liebeserfahrungen machen dem lyrischen Ich auch die Vergänglichkeit menschlichen Glücks deutlich; dem Sprecher wird bewusst, dass er sich selbst verändert hat – als Ergebnis der neuen Liebeserfahrung.(Den Gefühlswandel hast du ja erkannt.)

P.S. 2006 –  Ein nahe liegender Deutungsansatz scheint mir:

 Positano lässt auch denken an die Bedeutung: sich in Positur stellen – für die Aufnahme. Die Szene der gesamten Strophe transportiert die Sprecherin an eine alte Urlaubssituation zurück; die Frau vergleicht im Augenblick der  Fotoaufnahme die Situation mit einer längst vergangenen, die nun erneut ins Bewusstsein tritt, weil sich das äußere Szenario ähnelt, hingegen das vergangene Ich des Bildes  schon lange nicht mehr dem inneren Selbstbildnis entspricht.  –  Brückners Verdichtung von Erfahrung: wunderbar  gelungene Poesie. 

Quelle u.a.

„Aber besoffen bin ich von dir“. Liebesgedichte. Hrsg. Jan Hans, Reinbek 1979

 

                                                         Lyrikschadchen  Dichter – Schüler ©

 

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