“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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    Gedichtinterpretation am Gymnasium Bad Essen – zwei  Aufsätze  aus der Mittelstufe

 

      Rainer Maria Rilke:  Das Karussell Jardin du Luxembourg

 

        Mit einem Dach und seinem Schatten dreht

        sich eine kleine Weile der Bestand

        von bunten Pferden, alle aus dem Land,

        das lange zögert, eh es untergeht.

        Zwar manche sind an Wagen angespannt,

        doch alle haben Mut in ihren Mienen;

        ein böser roter Löwe geht mit ihnen

        und dann und wann ein weißer Elefant.

         

        Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,

        nur dass er einen Sattel trägt und drüber

        ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

         

        Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge

        und hält sich mit der kleinen heißen Hand,

        dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

         

        Und dann und wann ein weißer Elefant.

         

        Und auf den Pferden kommen sie vorüber,

        auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge

        fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge

        schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

         

        Und dann und wann ein weißer Elefant.

         

        Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,

        und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.

        Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,

        ein kleines kaum begonnenes Profil -.

        Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,

        ein seliges, das blendet und verschwendet

        an dieses atemlose blinde Spiel …

                                                                                      (1906)

         

                    I.

 

In dem Gedicht „Das Karussell“ von Rainer Maria Rilke geht es um eine Karussellfahrt.

 

Die erste Strophe beschreibt, wie sich das Karussell mit mutig aussehenden Pferden aus einem „zögernd“ „untergehenden“ „Land“, denen zuerst ein Löwe und dann ein Elefant folgen, dreht.

In der zweiten Strophe wird das Vorhandensein eines Hirschen geschildert, der einem wie echt erscheint und der einen Sattel mit einem Mädchen darauf trägt.

Die dritte Strophe vermittelt das Bild eines Zähne sowie Zunge zeigenden Löwen, auf dem ein, sich mit seiner „kleinen heißen Hand“ festhaltender,  Junge reitet.

Es folgt wieder ein Elefant in der vierten Strophe.

Mädchen, die eigentlich schon zu groß dafür sind, um Karussell zu fahren, die auf Pferden vorüber reiten und aufschauen, werden in der fünften Strophe beschrieben.

In der sechsten Strophe folgt noch einmal ein Elefant.

Die siebte und letzte Strophe schildert, wie dieses Geschehen erst so weiter geht und immer schneller wird, wie es jedoch langsam dem Ende zugeht und sich aber immer weiter im Kreis dreht und doch kein Ziel hat - und dass manchmal ein „seliges“ „blendendes“ Lächeln an ein „atemloses“ „blindes“ Spiel verschwendet wird.

Nach meinem ersten Textverständnis soll dieses Gedicht die Kindheit symbolisieren und aussagen, dass diese Kindheit eine Zeit ist, die (zu) schnell vergeht, eine Zeit, die schneller vorbeigeht, ehe man sich nach ihr umsehen kann.

 

Betrachtet man die äußere Form des Gedichts, so kann man sagen, dass dieses Gedicht in sieben unterschiedlich lange Strophen gegliedert ist. Die erste Strophe besteht aus acht Versen. Es folgt jeweils ein Terzett als sowohl zweite wie auch dritte Strophe. Nach der vierten Strophe, einem Einzeiler, nach der fünften Strophe, einem Quartett und nach der sechsten Strophe, bei der es sich noch einmal um einen Einzeiler handelt, endet das Gedicht mit der siebten und aus sieben Versen bestehenden Strophe.

 

Beim Metrum handelt es sich überwiegend um den Jambus. Das bedeutet, es findet ein Wechsel von unbetonter und betonter Silbe statt. In diesem Gedicht wird dieses Metrum an einzelnen Stellen durch Unregelmäßigkeiten vor allem in der siebten Strophe unterbrochen.

Die Verse bestehen jeweils aus zehn oder elf Silben.

An dem folgenden Reimschema des Gedichtes kann man erkennen, dass umschließender Reim und Kreuzreim oft ineinander übergehen:

 

    a b b a b c c b     d e d     f b f     b     e f f e     b     g h g h g g h .

 

Schaut man sich nun die innere Form des Gedichts an, so kann man zuerst einmal erkennen, dass es sich um ein Dinggedicht handelt. Ein Karussell wird mit sprachlichen Mitteln nachgeahmt, wobei das Karussell für die Kindheit steht.

Das Gedicht ist überwiegend im Zeilenstil verfasst. Das heißt, dass die Sinneinheiten also überwiegend mit der Zeile enden. Zusätzlich lassen sich jedoch auch Enjambements in Strophe I zwischen Vers 1 und 2  bzw. zwischen Vers 2 und 3, in Strophe II ebenfalls zwischen Vers 2 und 3, in Strophe V nochmals zwischen Vers 2 und 3 bzw. zwischen Vers 3 und 4 und in Strophe VII zwischen Vers 6 und 7 erkennen. Zwischen diesen Versen enden die jeweiligen Sinneinheiten nicht mit der Zeile, sondern gehen mit in die nächste über.

Auch fällt auf, dass sich der letzte Vers der ersten Strophe („und dann und wann ein weißer Elefant“) in Form eines Einzeilers sowohl als vierte als auch als sechste Strophe wiederholt. Daraus kann man schließen, dass immer wenn der „weiße Elefant“ erscheint, sich das Karussell eine weitere Runde gedreht hat. Die Abstände zwischen dem Auftauchen des „weißen Elefanten“ und dem erneuten Auftauchen dieses Tieres werden laufend kürzer. Diese immer kürzeren Abstände zeigen, dass das Karussell immer weniger Zeit benötigt, um sich eine weitere Runde zu drehen, also immer schneller wird.

Dass das Karussell in der ersten Strophe erst langsam anfängt sich zu bewegen und bis zur letzen Strophe immer schneller wird, lässt sich auch an anderen Auffälligkeiten erkennen.

So verändert sich der Rhythmus innerhalb des Gedichts, denn nicht nur das Karussell dreht sich immer schneller, sondern auch das Sprechtempo nimmt an Geschwindigkeit zu.

In der ersten Strophe fallen vor allem viele gedehnte Vokale (z.B. „einem“, „seinem“, „dreht“, „eine kleine Weile“, „Wagen“, „ihren Mienen“, „böser roter Löwe“) auf. Dieses führt dazu, dass die erste Strophe ziemlich langsam und nahezu bedächtig wirkt bzw. ausgesprochen wird.

Zusätzlich stößt man in der ersten Strophe auf genau beobachtete bzw. beschriebene Details (beispielsweise „Mut in ihren Mienen“). Solche Details lassen sich nur erkennen, wenn vorausgesetzt ist, dass sich das Karussell langsam dreht oder gar steht.

Dass das Karussell beim Drehen bis zum Schluss immer weiter an Geschwindigkeit zunimmt, ist auch an der Beschreibung der Details erkennbar. So wird in Strophe II nicht darauf geachtet, welches Detail nun wichtiger ist, da noch alles klar und deutlich zu erkennen ist. Bei der Beschreibung („kleines blaues Mädchen“) sind alle Wörter gleichgewichtig. Das heißt, „kleines“ ist genauso bedeutend wie „blaues“ oder wie „Mädchen“. In Strophe III hingegen wird schon mehr zwischen leicht, genau und früh erkennbar und eher schwieriger, eher ungenau und eher später erkennbar differenziert. Bei der Beschreibung („reitet weiß ein Junge“) sind nicht mehr alle Wörter gleich bedeutend. Durch die Wortstellung wird deutlich, dass „weiß“ bedeutender wie „ein Junge“ ist. Die Farbe ist bei zunehmender Drehgeschwindigkeit des Karussells also leichter zu erkennen als der Umstand, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt bzw. die Farbe ist bei erhöhter Geschwindigkeit früher und schneller wahrzunehmen.

In Strophe V dreht sich das Karussell schon so schnell, dass einzelne Personen nicht mehr erkannt werden können. Die Beschreibung („Mädchen, helle“) bezieht sich auf eine Gruppe und es wird verdeutlicht, dass auch die Farben nur noch schwer erkennbar bzw. nur noch zu erahnen sind, denn „helle“ deutet nur auf die Richtung hin, in die der Farbton geht. Angaben über die genaue Farbe wie in der zweiten bzw. dritten Strophe („blaues“ bzw. „weiß“) können nicht mehr gemacht werden.

In der letzen Strophe wird die hohe Endgeschwindigkeit des Karussells unter anderem durch viele einsilbige Wörter zum Ausdruck gebracht. Diese Wörter verleiten dazu, die ersten Verse der siebten Strophe beinahe „runterzurattern“. Auch das Gefühl, dass der Höhepunkt der Karussellfahrt oder eher, dass der Höhepunkt der Geschwindigkeit erreicht ist, wird dadurch vermittelt.

Da dies jedoch nicht bis zum Ende des Gedichts so fortläuft, wird auf das Drosseln der Geschwindigkeit und somit auf das Ende der Fahrt hingedeutet.

In diesem Gedicht wird auch deutlich, dass Blicke, die von Karussellfahrenden an außen stehende Personen gerichtet werden, ihr Ziel nicht erreichen bzw. dass der Blick ins Leere geht. Dieses wird durch einen Gedankenstrich zum Ausdruck gebracht („schauen sie auf, irgendwohin, herüber –„).

Ähnlich verhält es sich in der siebten Strophe („Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet, ein kleines kaum begonnenes Profil -.“). „Vorbeigesendet“ ist ein Begriff, den es so eigentlich nicht gibt. Er soll so viel aussagen, dass etwas nicht dort ankommt, wo es eigentlich ankommen sollte. Der Gedankenstrich bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie, dass in dem Moment, wo man anfängt Formen bzw. „Profile“ zu erkennen, diese Formen schon wieder weg sind.

Dass es sich für die Karussell fahrenden Kinder um etwas Besonderes handelt, wird ebenfalls verdeutlicht. In Strophe III, Vers 2 wird dies an einem Beispiel („und hält sich mit der kleinen heißen Hand“) zum Ausdruck gebracht. Die Hände des Kindes schwitzen vor Aufregung. Für das Kind handelt es sich auch nicht um Tiere aus Holz, sondern um richtige Tiere.

Ein Vergleich in Strophe II, Vers I („Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald“) stellt klar, dass es sich nicht um einen echten lebendigen Hirschen handelt, dass aber der nachgebildete Hirsch wie echt erscheint.

In diesem Gedicht tauchen zusätzlich noch zwei Bezeichnungen auf, die man als Metapher bezeichnen kann. Zunächst ziemlich am Anfang des Gedichts („Land, das lange zögert, eh es untergeht“) und dann noch einmal am Ende („atemlose blinde Spiel“). Das „Land, das lange zögert, eh es untergeht“ bezieht sich auf das Land der Kindheit, auf das Kinderland. Das „atemlose blinde Spiel“ meint, dass es außerhalb eines Spiels nichts anderes mehr gibt, dass man während eines Spiels für alles blind ist bzw. dass einem während eines Spiels alles egal ist, dass man in eine eigene andere Welt „abtaucht“.

 

Stellt man nun äußere Form und innere Form des Gedichts in einen Zusammenhang, kann man sehen, wie Gestaltung und Inhalt zusammenwirken und die Aussage des Gedichts hervorbringen.

Durch allerlei sprachliche Merkmale und Gestaltungsmittel wird die zunehmende Geschwindigkeit des Karussells zum Ausdruck gebracht und somit verdeutlicht, dass die Karussellfahrt immer schneller einem Ende zugeht. Da es sich um ein Dinggedicht handelt, in dem das Karussell für die Kindheit steht, wird der Bezug der zunehmenden Drehgeschwindigkeit auf die Kindheit deutlich. Die Eigenschaften des Karussells können auf die Kindheit bezogen werden.

 

Fasst man nun das zuvor Festgestellte zusammen, kann man sagen, dass die Interpretationshypothese bestätigt werden kann. Dieses Gedicht soll aussagen, dass die Kindheit eine Zeit ist, die (zu) schnell vergeht, eine Zeit, die schneller vorbeigeht, ehe man sich nach ihr umsehen kann.

Abschließend lässt sich hinzufügen, dass Rainer Maria Rilke etwas in seinem Gedicht thematisiert bzw. etwas damit ausdrücken möchte, das nicht nur auf ihn bzw. seinen Jahrgang zutrifft, sondern etwas, das auch heute noch von vielen Erwachsenen bestätigt wird, etwas, das nicht an Aktualität verliert und somit für den Leser eine Bedeutung haben kann bzw. für ihn einen Bezug zur Gegenwart herstellt.  Als Kind ist man noch in dem Glauben, die Zeit vergeht nur sehr langsam. Blickt man als Erwachsener auf sein bisheriges Leben zurück, kommt man vielleicht zu der Erkenntnis, dass im Nachhinein alles (vor allem die Kindheit) doch viel zu schnell vergangen ist.

                                                                             Kerstin Rose © - GBE Kl. 10/2007  (H. Abram)

 

                                 II .

Das Karussell -  Rainer Maria Rilke

 

In dem Gedicht „Das Karussell“ beschreibt Rainer Maria Rilke eine Szenerie, die er im Jardin de Luxemborg, einer Art Erlebnispark, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt hat.

 

Es wird dargestellt, wie sich ein Karussell mit Tierfiguren dreht, wie es beschleunigt, welche Eindrücke Rilke gesammelt hat und was die Kinder in dem Karussell ausdrücken. All das wird aber mit Distanz zum Geschehen aus der Sicht eines Erwachsenen, eines nachdenklichen und genauen Beobachters geschildert.

 

Nach meinem ersten Textverständnis deutet Rainer Maria Rilke das Karussell als Dingsymbol für das „Land, / das lange zögert, eh es untergeht“, Strophe 1, 3-4. Mit diesem „Land“ beschreibt er die Kindheit, die auch irgendwann untergeht, aber trotzdem noch lange in den Menschen weiterlebt, ehe sie ganz verschwindet. Das Karussell ist bei den meisten wohl aus der Kindheit bekannt und löst bei dem erwachsenen Betrachter Rilke Erinnerungen aus oder den Drang, wieder Kind zu sein und mitzumachen.

 

Rilke fasst seine Impressionen in einem Gedicht mit fünf Strophen zusammen, wobei aber ein  Einschnitt nach der dritten und vierten Strophe folgt, in der Form eines Verses („Und dann und wann ein weißer Elefant“, Z. 18,25)

Das Reimschema (a b b a b c c b / d e d / f b f / b / e f f e / b / g h g h g g h) enthält keine durchgängige Regelmäßigkeit, oft steht ein umschließender Reim und am Ende eher ein schweifender Kreuzreim.

Es wurde kein fester Zeilenstil verwendet, in den Zeilen 1-3; 11-12; 22-23; 32-33 steht der Hakenstil (sonst wird nur der Zeilenstil verwendet). Dies hat zur Folge, dass das Gedicht an diesen Stellen flüssiger wirkt und dadurch die Drehung des Karussells, eine fortlaufende Bewegung, darstellt. Die Silbenzahl der Verse liegt immer bei 10 bzw. 11 Silben, es ist das jambische Metrum zu erkennen, das gegen Schluss Unregelmäßigkeiten aufweist.

Bei der Analyse des Inhalts fällt zunächst einmal die Wortwahl auf. Es wurden sehr viele Adjektive verwendet, vor allem Farben und Adjektive, die die äußere Erscheinung beschreiben. Diese Adjektive werden oft aneinandergereiht. Dadurch gewinnt der Text an Lebendigkeit und die Farbvielfalt wird ausgedrückt.

Im gesamten Text werden diese Adjektive oder auch die Eindrücke durch Konjunktionen verbunden (Z.14-16; 27-33). Insgesamt wird die Konjunktion „und“ 14 Mal verwendet, überwiegend in der letzten Strophe. Dies schafft den Eindruck, dass der Inhalt hintereinander gereiht wird und in Verbindung mit den vielen verwendeten Kommata (Z.20 ff.) wird deutlich, dass die Impressionen nicht mehr in einem Sinnverhältnis zueinander stehen, sondern durch den einfachen Konnektor „und“ sowie Kommata aufgezählt werden. Dieses Stilmittel wurde angewandt, um den Eindruck der schnellen Bewegung des Karussells, welches viele interessante und auffällige Aspekte mit sich bringt, zu erwecken.

Das „Und“, welches insgesamt 14 Mal vorkommt, tritt auch oft als Anapher zu Beginn der Verse auf (Z.14-15; 18-20; 25; 27-28)

 Im gesamten Gedicht wurden mehrere Binnenreime verwendet, wie z.B „eine kleine Weile“ (Z.2); „dann und wann“ (Z.8, 18, 25) und „blendet und verschwendet“ (Z.32).

Aus den einzelnen Strophen des Gedichtes kann man eine Gliederung ableiten. Zuerst wird das Karussell an sich beschrieben, wie es sich dreht und welchen Eindruck die Tierfiguren erwecken. In den folgenden Strophen werden exemplarisch Kinder beschrieben. Zuerst ein „kleines blaues Mädchen“ (Strophe 2), welches dem Hirsch aufgeschnallt ist, dann „weiß ein Junge“ (Strophe 3) auf dem Löwen. In Strophe 4 werden „helle“ Mädchen beschrieben, die dem „Pferdesprunge fast schon entwachsen sind“ (Z 21-22). In der letzten Strophe wird das Karussell, welches sich in voller Fahrt befindet, beschrieben.

Verschiedene Merkmale verweisen auf die Zunahme der Geschwindigkeit. Zuerst einmal ist es auffällig, dass immer weniger Details der Kinder erkannt und beschrieben werden, zuerst erkennt man ein „kleines blaues Mädchen“, fast am Ende sieht man nur noch Mädchen und erkennt im Nachhinein, dass sie hell gekleidet sind („...Mädchen, helle...“). Auch der Aufbau an sich verweist auf die immer schnellere Drehung des Karussells. Zuerst können Details und Mimiken im groben Gesamteindruck des Karussells beschrieben werden. Darauf folgen die Kinder, die in immer kürzer aufeinander folgenden Abständen erscheinen und in dem Blickfeld des Betrachters auftauchen, verweilen und verschwinden. Dieser Abstand wird mit der Zeit immer geringer, da die Versanzahl in den Strophen sich verkürzt. In der letzten Strophe können schließlich keine Einzelheiten mehr wahrgenommen werden, sondern nur noch der Gesamteindruck des Karussells. Durch immer kürzere Worte und schließlich fast nur noch einsilbige Wörter (Strophe 5, Vers1-3) wird ein hektischer und schneller Ablauf vermittelt.

Ein weiterer Aspekt, der diese Beschleunigung verdeutlicht, ist der zu Anfang schon erwähnte Vers, der sich in den Zeilen 8, 18, 25 wiederholt („Und dann und wann ein weißer Elefant“). Dieser Vers taucht in immer kürzeren Abständen auf, der Elefant taucht beim ersten Mal nach sieben und beim zweiten Mal nach sechs Versen auf. Zuletzt erscheint er nach drei Versen wieder.

Zudem fällt in Zeile 23 ein Gedankenstrich auf. Dieser Gedankenstrich weist im ersten Fall auf den Blick der Mädchen, der niemanden erreicht, hin. Er wird verschwendet, ist an niemanden gerichtet und geht ins Nirgendwo.

Der letzte Vers fasst die gesamte Drehbewegung des Karussells zu einem Bild zusammen und deutet auch direkt auf das tiefere Verständnis hin. Das Karussell ist ein „atemloses, blindes Spiel...“(Z.33), welches die Kindheit symbolisiert. Die Kindheit ist eine Art Scheinwelt, die von den Kindern nicht als solche wahrgenommen wird (sie ist ein Spiel), aber für die Erwachsenen eine Art Sehnsucht auslöst und Rückbesinnung genommen wird. Also sind die Kinder in ihrer realen Welt wie in einem Traum und wissen nichts um sich, sind „blind“.

Am Ende des Gedichtes stehen drei Punkte (s. o.), die für das endlose Kreisen des Karussells stehen und für die Unaufhörlichkeit der Kindheit, die „lange zögert, ehe sie untergeht“(Z.3).

Abschließend lässt sich die Interpretationshypothese bestätigen: Rilke nutzt das Karussell als Dingsymbol für die Kindheit, die wie ein Karussell rasant und endlos erscheint. Doch gerade das ist sie nicht, was er durch die Distanz seiner Beschreibung ausdrückt. Er als Erwachsener ist dieser Welt weit entfernt, obwohl sie wie das Karussell greifbar nah ist. Die Kindheit ist folglich lange da, doch wird sie irgendwann „untergehen“.

                                        Lena Mönter ©  GBE Kl. 10/ 2007 (zweistündig;  H. Abram)

                                               

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