“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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       Interpretation des Gedichts „Die Scheiße“ (Hans Magnus Enzensberger)

 

In  dem Gedicht des Autors Hans Magnus Enzensberger (* 1929)  „Die Scheiße“, geschrieben 1964, wird über den Sprachgebrauch des Wortes „Scheiße“ nachgedacht und dessen Verwendung als Schimpfwort abgelehnt. Nach meinem ersten Verständnis ist die Ablehnung jedoch nicht die eigentliche Aussageabsicht des Dichters, sondern nur humorvoll-ironisch gemeint. Ich glaube, dass der Schriftsteller mit dem Text die Gesellschaft satirisch kritisieren möchte.

 

Auffallend ist zuerst einmal die fehlende äußere Einheitlichkeit der Struktur. Das Gedicht besteht aus drei unterschiedlich langen Strophen (zu jeweils zehn, neun und sechs Versen) und enthält weder Reime noch ein konstantes, gängiges Metrum. Diese Formlosigkeit lenkt den Blick direkt auf den Inhalt.

Die Scheiße wird als „unschuldig“, „sanft“ und bescheiden“ beschrieben (Str. I, V. 1-3). Daraufhin folgt im Text die amüsante Frage, warum wir ihren Namen mit den Umbenennungen „US-Präsident“, „Bullen“, „Krieg“ oder „Kapitalismus“ besudeln (Str. I, V. 5-10). Dies ist ein Wortspiel, da somit nicht die Scheiße  wie üblich als Dreck empfunden wird, sondern gerade das, was mit ihr benannt wird, was sich am Wort „besudeln“ zeigt. Enzensberger kritisiert also jene aufgeführten Institutionen und Systeme, für die das Wort „Scheiße“  noch ein viel zu gutes Prädikat sei.

 

In der zweiten Strophe wird  „Scheiße“ als vergänglich und nachgiebig erklärt (V.  1-4). Der Vers 6: wir benutzen das Wort „und meinen die Ausbeuter“ knüpft an die politisch links gerichtete Kritik am Kapitalismus aus der Strophe 1 an. In den Versen 7 – 9 folgt ein weiteres Wortspiel mit den verschiedenen Bedeutungen des Verbs „ausdrücken“.  In Vers 7 ist die wörtliche, in Vers 8 und 9 die übertragene Bedeutung des Begriffs gemeint, in seiner ganzen Bandbreite zwischen kräftiger Benennungsform und Erklärungsweise unserer „Wut“ und dem an eklige Sekrete erinnernden Bedeutungsraum: Eiterpickel werden ausgedrückt, Stuhlgang oder Fäkalien – alles Ausdrücke für menschliche Ausscheidungen -  herausgedrückt.

 

In der dritten Strophe nennt der Autor Scheiße „erleichternd“, „weich“ und „gewaltlos“. Er bezeichnet sie in Vers 5 als friedlichstes Werk des Menschen“ und übt somit indirekt Kritik an Kriegen und Gewalt. Das Gedicht endet mit der humorvollen Frage, was sie, diese Scheiße, uns eigentlich getan habe (Vers sechs).

 

Alles zusammen erfasst sehe ich meine Hypothese als haltbar an, dass es sich bei dem Gedicht mit dem nicht sehr feinen Titel  um eine Form der Gesellschaftskritik handelt. Enzensberger dreht Ekelvorstellungen ins Gegenteil um, z.B. bei „weiche Beschaffenheit“ oder der Doppeldeutigkeit „auf der Zunge führen (Str. II, V. 5) und „ausdrücken“. Damit meint er nach meinem Verständnis, dass Unterdrückung und Gewalt viel ekelhafter als das Exkrement sind. Diese Aussage passt in den zeitlichen Kontext, wenn man die Studentenaufstände gegen die „Obrigkeit“ der BRD von 1968 betrachtet.

Das Gedicht „Die Scheiße“ stellt also eine poetisch humorvoll verpackte linksgerichtete Gesellschatskritik dar.

 

                       Niels Leder ©  GBE  Jg. 13 -  03/ 2008  (Hausaufgabe)

 

                                                   

 

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