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Johann Rist (1607 – 1667)
Als die wunderbahre / oder vielmehr ohnverhoffte Zeitung 1 erschallete / daß der Hertzog von
Friedland zu Eger wehre ermordet worden.
WAs ist dieß Leben doch? Ein Trawrspiel ists zu nennen /
Da ist der Anfang gut / auch wie wirs wünschen können /
Das Mittel voller Angst / das End' ist Hertzeleid
Ja wol der bittre Todt / 0 kurtze Froligkeit!
Dieß thut uns Wallenstein in seinem Spiel erweisen /
Der Kayser pflag ihn selbst anfenglich hoch zu preisen
Als' eine Seul deß Reichs (so nand' ihn FERDINAND)
Der Teutschen Furcht unnd Zwang / deß Käysers rechter Hand.
Bald aber / wie sein Glaub' unnd Trew fieng an zu wancken
Verkehrte sich das Spiel / man wandte die Gedancken
Auff seinen Untergang / der Tag gebahr die Nacht /
Das Trawrspiel hatt' ein End' unnd er ward umbgebracht.
So tumlet sich das Glück / so leufft es hin unnd wieder
Den einen macht es groß / den andren drückt es nieder
Sein End' ist offt der Todt. 0 selig ist der Mann
Der sich der Eitelkeit deß Glucks entschlagen kan.
1 Nachricht
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Andreas Gryphius ( 1616 - 1664 )
Thränen des Vaterlandes. Anno 1636
Wir sind doch nunmehr gantz/ ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar/ die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwerdt/ die donnernde Carthaun/
Hat aller Schweiß/ und Fleiß/ und Vorrath auffgezehret.
Die Türme stehn in Glutt/ die Kirch ist umgekehret.
Das Rathaus ligt im Grauß/ die Starcken sind zerhaun/
Die Jungfern sind geschänd’t/ und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer/ Pest/ und Tod/ der Hertz und Geist durchfähret.
Hir durch die Schantz und Stadt/ rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr/ als unser Ströme Flutt/
Von Leichen fast verstopfft/ sich langsam fort gedrungen
Doch schweig ich noch von dem/ was ärger als der Tod/
Was grimmer denn die Pest/ und Glutt und Hungersnoth
Das auch der Seelen Schatz/ so vilen abgezwungen.
(1643)
Anm.: Kartaune = großes Geschütz; Grauß = Schutt)
Unbekannter Verfasser
Wallensteins Epitaphium 2
Hie liegt und fault mit Haut und Bein
Der Grosse KriegsFürst Wallenstein.
Der groß Kriegsmacht zusamen bracht /
Doch nie gelieffert recht ein Schlacht.
Groß Gut thet er gar vielen schencken /
Dargeg'n auch viel unschuldig hencken.
Durch Sterngucken und lang tractiren /
Thet er viel Land und Leuth.verliehren.
Gar zahrt war ihm sein Böhmisch Hirn /
Kont nicht leyden der Sporn Kirrn'.
Han / Hennen / Hund / er bandisirt /
Aller Orten wo er losirt28.
Doch mußt er gehn deß Todtes Strassen /
D' Han krähn / und d' Hund bellen lassen.
Matthias Claudius (1740 - 1815)
Kriegslied
‘s ist Krieg! s’ ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
‘s ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halbtot
Im Staub vor mir sich wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?
Wenn tausend, tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?
Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zur Ehre krähten
Von einer Leich herab?
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
‘s ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein! (1797)
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Heinrich Heine ( 1797 - 1856 )
Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege,
Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus.
Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar -
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).
In jenen Nächten hat Langweil ergriffen
Mich oft, auch Furcht - ( nur Narren fürchten nichts ) -
Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.
Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahet irgendein verdächtiger Gauch,2
So schoß ich gut und jagt ihm eine warme
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.
Mitunter freilich mocht es sich ereignen,
Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wußte - ach, ich kanns nicht leugen -
Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut.
Ein Posten ist vakant!3 - Die Wunden klaffen -
Der Eine fällt, die Andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - Nur mein Herze brach.
(1851)
1 entfant perdu: verlorenes Kind - 2 Gauch: Narr -3 vakant: unbesetzt
Wiegenlied aus dem Dreißigjährigen Krieg
Horch, Kind, horch, wie der Sturmwind weht
und rüttelt am Erker!
Wenn der Braunschweiger draußen steht,
der fasst uns noch stärker.
Lerne beten, Kind, und falten fein die Händ,
damit Gott den tollen Christian von uns wend'!
Schlaf, Kind, schlaf, es ist Schlafens-Zeit,
ist Zeit auch zum Sterben.
- Bist du groß, wird dich weit und breit
die Trommel anwerben.
Lauf ihr nach, mein Kind, hör deiner Mutter Rat;
fällst du in der Schlacht, so würgt dich kein Soldat.
«Herr Soldat, tu mir nichts zuleid,
und lass mir mein Leben!»
«Herzog Christian führt uns zum Streit,
kann kein Pardon geben.
Lassen muss der Bauer mir sein Gut und Hab
zahle nicht mit Geld, nur mit dem kühlen Grab.»
Schlaf, Kind, schlaf, werde stark und groß.
Die Jahre, sie rollen;
folgst bald selber auf stolzem Ross
Herzog Christian dem Tollen.
Wie erschrickt der Pfaff und wirft sich auf die Knie -
«Für den Bauer nicht Pardon, den Pfaffen aber nie!»
Still, Kind, still, wenn Herr Christian kommt,
der lehrt dich zu schweigen!
Sei fein still, bis dir selber frommt,
ein Ross zu besteigen.
Sei fein still, dann bringt der Vater bald dir Brot,
wenn nach Rauch der Wind nicht schmeckt, und nicht der Himmel rot.
August Stramm (1874 -1915)
Patrouille
Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
August Stramm (1874 -1915)
Schlachtfeld
Schollenmürbe schläfert ein das Eisen
Blute filzen Sickerflecke
Roste krumen
Fleische schleimen
Saugen brünstet um Zerfallen.
Mordesmorde
Blinzen
Kinderblicke.
(1915)
August Stramm (1874 -1915)
Wache
Das Turmkreuz schrickt ein Stern
Der Gaul schnappt Rauch
Eisen klirrt verschlafen
Nebel streichen
Schauer
Starren Frösteln
Frösteln
Streicheln
Raunen
Du!
*
Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)
Tage der Gefahr
Das sind die Tage der Gefahr:
es hält das All den Atem an.
Ein Fluch liegt auf dem ganzen Jahr.
Geheim wird Gräßliches geplant,
du spürst es unentrinnbar nahn.
Eh deinem Traum noch Böses schwant,
ist Unheilvolles schon getan.
Du möchtest fliehn und bleibst gebannt.
Das Leben kommt nicht mehr zur Ruh,
solang die dunkle Drohung schwelt.
Der Unsichtbare sieht dir zu,
bis doch dein Fuß den Steg verfehlt.
Die Welt wankt unter deinem Schuh
und stürzt ins Leere ab entseelt,
ihr Name wird nicht mehr genannt.
Zerstört ist, was uns heilig war.
Das All, das die Vernichtung ahnt,
hält angsterfüllt den Atem an.
*
Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)
Das Unabwendbare
Die Brunnen des Todes sind aufgebrochen,
der Würger hat seine Fesseln gesprengt,
die große Verwünschung ist ausgesprochen:
nun wird geplündert, gewüstet, gesengt,
Verdammnis dröhnen die Stürme, die Meere,
die Fahnen flattern in Blut getaucht,
und hinter dem Zuge der heidnischen Heere
der Brand der geschändeten Städte raucht.
Der Himmel spiegelt die höllischen Gluten,
in dir wir hilflos starren, gebannt:
bald haben die wildflammenden Fluten
den Wall auch um unser Versteck überrannt.
Ich warte und weiß doch: ich kann nicht entrinnen,
schon morgen ist mir das Letzte geraubt.
Die Hoffnung, ich dürfte noch einmal beginnen –
Im Grunde hab’ ich sie niemals geglaubt.
Ich Grunde hatte mein Leben verzichtet,
schon damals, als ich die Heimat verließ,
und nur einen schwachen Trost sich erdichtet,
der längst sich als unerfüllbar erwies.
Von unserer Alten Welt mich zu trennen,
ermangelte ich der wagenden Kraft;
so kann uns die wüstende Kraft überrennen,
indes der Gedanke die Neue Welt schafft.
Sie wird mein scheidender Blick nicht mehr fassen,
mein Ende soll ohne Erhebung sein:
von allem, was mir lieb war, verlassen,
verblute ich winselnd und gottlos allein.
Ein Lied ist erwürgt. Ein Herz ist gebrochen.
In Trümmern liegt ein gastliches Haus.
Die große Verwünschung wurde gesprochen.
Das Licht geht aus.
*
(im Londoner Exil verfasst am 26. 11. 1939; ersch. New York 1941)
Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)
Kriegerische Wandlung
Hier weiden friedlich sonst die Lämmerherden,
die Menschen freun sich an der Blumen Pracht;
und morgen soll der Park zum Schlachtfeld werden
und Giftgas strömen durch die Sternennacht!
Wo jetzt noch Buben harmlos Fußball spielen
Und man die Drachenschnur geduldig hält,
wird ein Geschützrohr in die Lüfte zielen,
aus denen plötzlich die Vernichtung fällt.
Das uns vertraute Laubwerk der Gesträuche
muß dann dem Hinterhalt Verhüllung sein,
und die verhaßten kriegerischen Bräuche
gehen mählich auch den Sanftgesinnten ein.
Ich hoffte, niemehr sollte dies geschehen,
daß sinnlos sich die Menschheit selbst zerfleischt
und, wo heut sanfte Friedensprediger stehen,
der Hetzer morgen Kriegerisches kreischt.
Ich ahnte nicht, daß immer dicht daneben
das Drohende beim arglos Milden wohnt.
Nun bleibt der Schatten über meinem Leben,
hat es für diesmal auch uns noch verschont.
Georg Heym ( 1887 - 1912)
Der Krieg
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit.
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.
In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne zittert ein Geläute dünn,
Und die Barte zittern um ihr spitzes Kinn.
Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an,
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an!
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.
Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein,
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.
Und mit tausend hohen Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelnd flieht,
Stößt er in die Feuerwälder, wo die Flamme brausend zieht.
Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse, zackig in das Laub gekrallt,
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.
Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht,
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht
Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer trautet unten auf Gomorrh.
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Georg Trakl (1887 – 1914)
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! Ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungeborenen Enkel (1914)
Trakl hatte als Sanitäter eine Nacht lang ganz allein die Verwundeten der Schlacht von
Grodek/ Rawa-Raska (Galizien) zu versorgen, ein bleibend traumatisches Erlebnis.
Alfred Lichtenstein (1889 – 1914)
Abschied
Vorm Sterben mache ich noch mein Gedicht.
Still, Kameraden, stört mich nicht.
Wir ziehn zum Krieg. Der Tod ist unser Kitt.
O, heulte mir doch die Geliebte nit.
Was liegt an mir. Ich gehe gerne ein.
Die Mutter weint. Man muss aus Eisen sein.
Die Sonne fällt zum Horizont hinab.
Bald wirft man mich ins milde Massengrab.
Am Himmel brennt das brave Abendrot.
Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.
Anm.: Peter Scher, d.i. der Redakteur des Simplicissimus Fritz Schweynert ( 1880 - 1953);
der Abtransport des Regiments erfolgte am 08.08. 1914)
*
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Gebet nach den Schlachten
Kopf ab zum Gebet!
Herrgott! Wir alten vermoderten Knochen
Sind aus den Kalkgräbern noch einmal hervorgekrochen.
Wir treten zum Beten vor dich und bleiben nicht stumm.
Und fragen dich, Gott:
Warum haben wir unser rotes Herzblut darangegeben?
Bei unserm Kaiser blieben alle sechs am Leben.
Wir haben einmal geglaubt... Wir waren schön dumm... l
Uns haben sie besoffen gemacht...
Einer hat noch sechs Monate im Lazarett geschrien.
Erst das Dörrgemüse und zwei Stabsärzte erledigten ihn.
Einer wurde blind und nahm heimlich Opium.
Drei von uns haben zusammen nur einen Arm...
Wir haben Glauben, Krieg, Leben und alles verloren.
Uns trieben sie hinein wie im Kino die Gladiatoren.
Wir hatten das allerbeste Publikum.
Das starb aber nicht mit...
Herrgott!
Wenn du wirklich der bist, als den wir dich lernten:
Steig herunter von deinem Himmel, dem besternten!
Fahr hernieder oder schick deinen Sohn!
Reiß ab die Fahnen, die Helme, die Ordensdekoration!
Verkünde den Staaten der Erde, wie wir gelitten,
wie uns Hunger, Läuse, Schrapnells und Lügen den Leib zerschnitten!
Feldprediger haben uns in deinem Namen zu Grabe getragen.
Erkläre, dass sie gelogen haben! Lässt du dir das sagen?
Jag uns zurück in unsre Gräber, aber antworte zuvor!
Soweit wir das noch können, knien wir vor dir — aber leih uns dein Ohr!
Wenn unser Sterben nicht völlig sinnlos war,
verhüte wie 1914 ein Jahr!
Sag es den Menschen! Treib sie zur Desertion!
Wir stehen vor dir: ein Totenbataillon.
Dies blieb uns: zu dir kommen und beten!
Weggetreten!
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Der Graben
Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben
Für den Graben, Mutter, für den Graben.
Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
Bis sie ihn dir weggenommen haben
Für den Graben, Junge, für den Graben.
Drüben die französischen Genossen
Lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
In dem einen großen Massengrabe.
Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikanteneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
Für das Grab, Kameraden, für den Graben!
Werft die Fahnen fort!
Spielen auf zu eurem Todestanz.
Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen –
Das ist dann der Dank des Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen <Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums bisschen Leben.
Wollt ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
Übern Graben, Leute, übern Graben -!
(1928)
Johann Spratte © (1901 – 1991)
Heimkehr
Im Bündel
den gebastelten Löffel
aus Konservenblech.
Patronenhülse
mit Bleistiftstummel.
Bindfaden, Borsalbe,
Soldatenbrille,
und Vaters alte Taschenuhr.
Ein Stück Brot noch
von der letzten Lagerzuteilung.
Zerdrückte Briefe,
Fotografien
und in staubigen Stiefeln
immer noch der gewohnte
Marschtritt.
Aber die Straßen der Heimat
unter den Füßen.
(aus: Gelber Wiesenmond, 1980, S. 20 - s. In memoriam Johann Spratte
Herrn Wido Spratte aus Wallenhorst ein herzliches Dankeschön für die Abdruckerlaubnis, Februar 2011
Hans Bender © ( 1919 - 2015)
Heimkehr
Im Rock des Feindes,
in zu großen Schuhen,
im Herbst,
auf blattgefleckten Wegen
gehst du heim.
Die Hähne krähen
deine Freude in den Wind,
und zögernd pocht
dein Knöchel
an die stumme,
neue Tür.
(1954)
Ich danke dem Autor Hans Bender ganz herzlich für die Abdruckerlaubnis; Mai 2008.
(Hans Bender verstarb am 28. Mai 2015. R.I.P.
Eva Zeller © (* 1923)
Ruhe auf der Flucht
(06. 01. 1945)
Heute Mittag
haben wir bei
Schmelzwasser
und trockenem Brot
die rotgefrorne
Rübennase des
Schneemanns
gekaut der
mit seinem
Besenstiel
Schlobitten
verteidigte
Anm. Z 11: Schlobitten = Ort und Schloss in Ostpreußen
Eva Zeller © (* 1923)
ein Geräusch
Wir haben die
Pferdehufe beschlagen
Achsen und Schlitter-
Kufen geschmiert
zu schwere Kisten
mit dem Tafelsilber
wieder abgeladen
die aneinander
gefrorenen Eis-
schollen auf der
Nogat knisterten
schon und knirschten
ein Geräusch wie
beim Zahnziehn
wenn die Wurzel
nicht raus will
und die örtliche
Betäubung auch
nicht mehr hilft
*
Anm: Z 11: Nogat = 62 km langer Mündungsarm der Weichsel, mündet ins Frische Haff
aus: Eva Zeller, Was mich betrifft. Gedichte und Balladen. Literarische Broschur Bd. 18 , München Verlag
Sankt Michaelsbund. 2011, S. 7f. . Der Autorin für die Publikationserlaubnis vom 26. 08. 2011 ganz herzlichen
Dank.
Jürgen Becker (* 1932)
Träume wiederholen sich
Aufrecht sitze ich im Bett. Nichts ist
zum Festhalten da. Wieder
haben die Bremsen eines Autos versagt,
das nicht mir gehört. Wenn ich jetzt
aufstehe, werde ich im Dunkeln versuchen,
keinen Gegenstand zu berühren. Meine Stadt
liegt wieder in Trümmern. Es ist wieder
Krieg. Ich stehe auf
und suche in der Küche die Milch.
*
Aus: Jürgen Becker, Erzähl mir nichts vom Krieg. Gedichte. Suhrkamp Verlag 1977 S. 12
Jürgen Becker (* 1932)
Zeitzeugen
Jetzt weiß man es wieder. Der Frontverlauf
zwischen Hückeswagen und Wipperfürth, Tiefflieger
über dem Niederen Fläming, im Vorgarten
das Maschinengewehr. Abends hat die erste Amsel
geflötet, und über die Terrasse schwebt
ein blaues Mädchenkleid. Den Großvater hat noch
der Volkssturm geholt; offene Fenster
und ein Koffergrammophon, Der Wind hat mir
ein Lied erzählt. Gewußt hat man gar nichts.
Ein paar Möbel im Regen, und nachts die Züge
hinter den Wäldern. Sommerwolken
bis zum Ettersberg; der Nachmittag vergeht
im Konfirmandenunterricht. Unendlich
die Chaussee; im Straßengraben brennt
der Kübelwagen aus, und Jenseits des Tales
standen unsre Zelte. Oder alles vergessen.
Die Akten im Keller, auf dem Speicher die Briefe,
jetzt kommen die alten Nachrichten wieder.
*
Aus: Jürgen Becker, Dorfrand mit Tankstelle. Gedichte. Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M. 2007 S. 25
(Dem Büchner-Preisträger 2014 ein herzliches Dankeschön für die Abdruckerlaubnis vom 19. 06. 2014)
Horst Bingel ©(1933 – 2008)
Das Winterpferd
Schaukelpferd, Schaukelpferd, reite nicht in den Krieg,
der Krieg, er ist ein böses Tier,
Papa und Mama bleiben hier.
Ihr habt die Eisblumen gesehen,
du und das Winterpferd,
alle Gräber werde wir
schmücken am Sonntag, am
Montag, frühmorgens,
am Morgen dann,
Kastanien und Straßen-
laternen sammle ich
für dich, braune Kastanien.
Schaukelpferd, Schaukelpferd, reite nicht in den Krieg,
der Krieg, er ist ein böses Tier,
Papa und Mama bleiben hier.
Sie werden in einer Nacht
dich verkaufen
- und kein Hahn und kein Hund –
sie mit Zylindern, die
bodenlos sind, sie
haben dich nicht gekannt.
Meide die festen Häuser!
Längst schon stehen Rucksack und Schaukelpferd,
Rucksack und Schaukelpferd bereit.
Schaukelpferd, Schaukelpferd, reite nicht in den Krieg,
der Krieg, er ist ein böses Tier,
Papa und Mama bleiben hier.
*
aus: Horst Bingel, Den Schnee besteuern. Gedichte. Hrsg. von Werner Bucher
und Virgilio Masciadri. orte-Verlag, Oberegg und Zürich 2009, S. 36
Frau Barbara Bingel ganz herzlichen Dank für die Abdruckerlaubnis.
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Peter Härtling (1933 - 2017)
Krieg
Hinunter.
Das Land, das ich erdachte,
bricht weg
wie ein Stück Schiefer,
hinunter.
Hinunter
ins irrende Gedächtnis:
Schon wieder Krieg?
Nach wie vielen Kriegen
schon wieder Krieg?
Ich lag verschüttet
unter meiner Kindheit.
Nichts nahm ich mit.
Nun bricht von neuem
weg,
was ich fand, erfand,
mein Land,
stürzt hinunter:
eine Tafel mit
meiner verwischten Schrift,
und verglüht
im Krieg,
im nicht mehr angesagten Krieg.
aus: Peter Härtling, Das Land, das ich erdachte. Gedichte 1990 – 1993 Radius Verlag, S. 59
Am 09.05.2011 erhielt ich in einem freundlichen Brief die Abdruckerlaubnis.
Der Autor verstarb am 10. 07. 2017. R.I.P.
Monika Taubitz © (* 1937)
Vergessene Geschichte
Die Stränge der Schienen
stumpf geworden
und rotbraun vom Rost,
weisen hier und dort
einen helleren Farbton auf.
Ausgetauscht einst
und über Bombentrichtern
verlegt,
markieren sie noch immer
die alte Geschichte.
*
Monika Taubitz © (* 1937)
Damals
Es blitzten die Schienen
wie scharf
geschliffene Messer,
damals,
als Waggon
um Waggon
darüberrollte
nach Buchenwald,
dem Ort
mit dem schönen Namen.
aus:
Monika Taubitz; Im Zug - nebenbei. Gedichte von unterwegs,
Neisse Verlag Silvia & Detlev Krell GbR, Dresden 2011, S. 9 und 10
(s. Sonderseite Gedichte der Monika Taubitz)
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Noch nicht copyfrei:
Bert Brecht (1898 - 1956) Legende vom toten Soldaten (Und als der Krieg im fünften Lenz)
Marie Luise Kaschnitz (1901 – 1974) Hiroshima (Der den Tod auf Hiroshima warf)
Peter Huchel (1903 - 1981) Chausseen, Chausseen Chronik: Dezember 1942
(Wie Wintergewitter ein rollender Hall) (1955)
Rainer Brambach (1917 – 1983) Paul ( Neunzehnhundertsiebzehn/ an einem Tag unter Null geboren)
Paul Celan (1920 –1970) Espenbaum, ( dein Laub blickt weiß ins Dunkel.)
Erich Fried (1921 – 1988) (Beim Nachdenken über Vorbilder
Spruch (Ich bin der Sieg)
Inge Müller (1925 - 1966) 1945 (Ich sah die Welt in Trümmern)
Ernst Jandl (1925 - 2000) schtzgrmm (schtzngrmm/ t-t-t-t)
Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) Alle Tage (Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt.)
Günter Kunert ( 1929 - 2019) Manöverplatz ( In den erblühten Gärten, wo)
Hans Bender (1929 - 2015) An die Urenkel (Was kann ich alter Mann)
Volker von Törne (1934 - 1980) Frage (Mein Großvater starb an der Westfront)
Wolf Biermann (* 1936) Soldat Soldat (Soldat Soldat in grauer Norm)
Kurt Bartsch (1937 - 2010) Frage (Noch steht das Haus)
Guntram Vesper (*1941) Die Bauern von Greifenhain (Ich klopfe ans Hoftor)
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Aegidienkirche Hannover - nach dem Luftangriff 1943 im zerstörten Zustand belassen als Mahnmal gegen Krieg
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