Sollen und Haben
Mündlich
Ich soll und muss ein Buhlen haben,
Trabe dich, Tierlein, trabe,
Und sollt ich ihn aus der Erde graben,
Trabe dich. Tierlein, trabe.
Das Murmeltierlein hilft mir nicht,
Es hat ein mürrisch Angesicht
Und will fast immer schlafen.
Ich soll und muss ein Buhlen erringen,
Schwinge dich, Falke, schwing dich,
Du sollst mir ihn aus den Lüften bringen,
Schwinge dich, Falke, schwing dich.
Das Turteltäublein hilft mir nicht,
Schnurren und girren kann ich nicht,
Sein Leben muss es lassen.
Ich soll und muss ein Buhlen finden,
Laufe, mein Hündlein, laufe,
und sollt ich ihn fangen mit meinen Winden,
Laufe, mein Hündlein, laufe.
Der edle Hirsch, er hilft mir nicht,
Sein Horn ist mir zu hoch gericht,
Er möchte mich erstechen.
Ich soll und muss ein Buhlen haben,
Schalle, mein Hörnlein, schalle,
Und wen du rufst, der muss mich laben,
Schalle, mein Hörnlein, schalle.
Drei schöne Tierlein stellen sich,
Die holt kein Hund, kein Falke nicht,
Die muss ich selber fangen.
„Ich soll und muss ein Rößlein haben,
Nimm mich. Jägerlein, nimm mich,
Ich möcht gern durch die Wälder traben,
Nimm mich. Jägerlein, nimm mich."
Trabst du gern, so nimm mein Ross,
So wär ich dann das Elslein los,
Ade, ade, mein Rösslein.
„Ich soll und muss ein Falken kriegen,
Nimm mich. Jägerlein, nimm mich,
Der muss mit mir zum Himmel fliegen,
Nimm mich. Jägerlein, nimm mich."
Nimm hin, nimm hin mein Federspiel,
Lieb Bärbelein, du warst zuviel,
Ade, ade, mein Falke.
„Ich soll und muss ein Küsslein haben,
Küss mich. Jägerlein, küss mich!"
Du sollst und musst einen Jäger haben,
Küss mich. Jungfräulein, küss mich.
Die dritt, die dritt, die nenn ich nicht,
Sie hat ein klares Angesicht
Und soll mir nicht erröten.
(aus: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Gesammelt von
Achim von Arnim und Clemens Brentano. 1806/1808)