“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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                Interpretation des Gedichts  „Das Ende vom Lied 

                      I.

                 

In dem Gedicht „Das Ende vom Lied“  von Mascha  Kaléko (1912 - 1975), abgedruckt in „Das lyrische Stenogrammheft“   um 1933, wird dem lyrischen Ich das Ende seiner /ihrer Liebesbeziehung klar. Es wünscht sich die schöne Zeit zurück und sucht nach Gründen für die Trennung.

Nach meinem ersten Textverständnis will die Autorin mit dem Gedicht deutlich machen, dass Liebe vergänglich ist und man nach den Gründen dafür sucht.

 

Das Liebesgedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Zeilen. Auffällig ist, dass erste und vierte Zeile einer Strophe immer im fünfhebigen Jambus mit überzähliger Silbe geschrieben sind. Die zweite und dritte Zeile dagegen stehen im 5-hebigen Jambus. Das Reimschema ist  a b b a , also ein umarmender Reim. Die erste und vierte Zeile enden auch in jeder Strophe mit einer weiblichen Kadenz, zweite und dritte hingegen enden mit einer männlichen Kadenz.

 

In den ersten drei Strophen wünscht sich das lyrische Ich die Zeit vor und während der Liebesbeziehung zurück. „Ich säh dich gern noch einmal, wie vor Jahren  (Strophe 1, Zeile 1) und „Und später dann im kaumgebornen >Du< Mir jene tausend Worte Liebe sagen“ (Strophe 2, Zeilen 7 - 8). Der Sprecher wünscht sich fast noch einmal von vorne anfangen zu können: Als wird uns herrlich fremd und sonst nichts waren“. (St 1, Z 4) Zwar macht er schon Andeutungen (St 1, Z 2); „Und jetzt kann ich es nicht mehr“), dass dieses  Liebesglück nicht mehr andauert, jedoch zieht er erst am Anfang der Strophe vier einen Schlussstrich: „Das Alles ist vorbei…“/St 4, Z 13). Das lyrische Ich überlegt, wie es zur Trennung komme konnte, sucht nach dem Schuldigen (St 4, Z 13: „Bist du ein anderer oder liegts an mir?“  Dann kommt der Sprecher zu dem Ergebnis, dass vielleicht keiner der beiden etwas für das Ende der Beziehung kann (St 4, Z 15 “ Vielleicht kann keiner von uns zwein dafür“) Er gibt die Schuld den vergangenen Jahren (St 4, Z 16 „Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen“)

In den ersten Zeilen der letzten Strophe erwähnt er zwar nochmals, dass er wieder die Briefe seines ehemaligen Partners lesen möchte und „Die Worte, die man liebend nur versteht“ (St 5, Z 18), jedoch wird ihm dann wieder die unschöne Wahrheit klar: Die Beziehung ist vorbei und gewesen,so hart es auch klingt.

Auffällig ist, das Mascha Kaléko mit dem Reimschema, dem Metrum und den Kadenzen den gleichen Aufbau in jede Strophe bringst. Beim Lesen fällt sofort auf: Erste und vierte Strophe gehören zusammen und zweite und dritte Zeile ebenfalls. Vielleicht möchte sie hiermit den Anfang und das Ende der Strophen und im übertragenen Sinne auch Anfang und Ende der Beziehung verdeutlichen. Sie  unterstreicht, dass die Mitte von einem festen Rahmen gehalten wird.

Das Wort „Ich“ kommt in dem Gedicht in jeder,  außer der vierten  Strophe vor. Die Autorin macht damit deutlich, dass das lyrische Ich in allen außer der vierten Strophe von eigene Gefühlen, Wünschen und Träumen spricht (St 1, Z 1: “Ich säh dich gern...“; und St 2, Z 5: “Ich hört dich gern…“ Nur in der vierten Strophe berichtet der Sprecher von der vergangenen, gemeinsamen Beziehung. Man kann vermuten, dass es dem anderen Partner in dieser Hinsicht ähnlich gehst. Die Überschrift „Das Ende vom Lied“ fasst das gesamte Gedicht in vier Worten zusammen. Beim Ende eines Liedes oder einer Beziehung kann man trauern, weil das Stück oder die Zeit traumhaft waren, man kann sich aber auch auf ein neues Lied oder einen neuen Lebensabschnitt freuen. Das lyrische Ich trauert am Ende des Gedichts noch und ist verbittert (St 5, Z 10: Wie unbarmherzig ist das  Wort >Gewebe<!“ In Strophe zwei in der achten Zeile stehen „jene tausend Worte“ für die vielen Worte, die man  sich sagen kann, um die Liebe zum Ausdruck zu bringen. In der dritte Strophe in der elften Zeile spricht das lyrische Ich sogar vom Liebeskummer während der Beziehung: „Und wieder weinen, wenn du mich betrübt,/Die „viel zu oft geweinten dummen Tränen“ (St 3, Z 12) stehen ebenfalls für diesen Schmerz.

 

All dies 1 bestätigt meine  Interpretationshypothese. Die Autorin macht mit dem Gedicht deutlich, dass Liebe über die Jahre vergehen kann und es keinen Schuldigen dafür geben muss.

 

Ich finde das Gedicht „Das Ende vom Lied“ sehr schön. Besonders gelungen finde ich den Namen, da er das Gedicht passend und treffend zusammenfasst.  Es ist mit dem lyrische Ich dem Leser vermittelt und man kann davon ausgehen, dass die Autorin von eigenen Erlebnissen „erzählt“. Vielleicht stand sie selbst auch schon einmal am Ende  einer Beziehung und hat sich gefragt, wann die Liebe verschwunden ist.

Der Text wirkt sehr ordentlich und klar strukturiert, weil Metrum, Reimschema und Kadenzen genau zusammenpassen. Das „Es ist zum Lachen!“ (St 4, Z 13) wirkt ein bisschen verzweifelt. Beim Lesen der letzten Strophe und vor allem der letzten zwei Zeilen des Gedichts wird auch dem Leser klar: Es wird kein Happy End geben, die Beziehung ist aus und vorbei. Es ist das „Ende vom Lied“.

  

 Lehrerkommentar:

 1 Genauer zusammenfassen!

 

Du bietest einen klar strukturierten Aufbau, startest mit einer soliden Hypothese, führst eine korrekte Formbestimmung durch und die Deutung geht auf.  Die Textarbeit könnte man sich - trotz aller Bemühung - noch etwas ergiebiger  vorstellen. Dennoch eine gute Leistung.

                                                                                     Corinna Lüke  Kl. © 10 / GBE 2006 („Mini-Abi”)                                                                                    

 

                                                                   II .

                            Interpretation 2 -  Das Ende vom Lied (Kaléko)

 

In dem Gedicht „Das Ende vom Lied“ von Mascha Kaléko, die von 1907 bis 1975 lebte, sehnt sich das lyrische Ich nach einer bereits vergangenen Liebe. Es schwärmt erst davon, sucht dann nach möglichen Erklärungen für das Ende bzw. Aufhören der Liebe und gelangt erst am Ende des Gedichtes zu der  Einsicht, dass es für alles, was dies betrifft, endgültig zu spät ist. Als Interpretationshypothese erscheint mir denkbar: Die Autorin Mascha Kaleko möchte mit diesem Gedicht aussagen, dass wir Menschen immer erst dann sehen, dass eine Liebe oder Partnerschaft zum Scheitern verurteilt bzw. zu Ende ist, wenn es keine Möglichkeit der Rettung mehr gibt.

           Schon in der ersten der insgesamt fünf Strophen kann man durch den Gebrauch des Konjunktivs erkennen, dass es sich hier um Wünsche des lyrischen Ichs handelt, die nicht realisierbar sind. Es wiegt sich voller Sehnsucht und Wehmut in Erinnerungen der längst vergangenen Liebe. Gerade in den Versen eins und drei kommt dies sehr stark zum Ausdruck, was durch den fast identischen Wortlaut dieser beiden Verse „Ich säh/ hört dich gern noch einmal…“  formal bekräftigt wird. Auch der Vergleich „wie vor Jahren“ bzw. „wie vorher“ und das Enjambement von Vers eins zu zwei tragen hierzu bei. Das lyrische Ich wünscht sich, dass gewesene Dinge sich noch einmal wiederholen, weiß aber innerlich, dass es dafür schon zu spät ist, was wiederum in Vers zwei „Jetzt kann ich es nicht mehr“ deutlich wird.

Dass die Autorin in Vers vier die eigentlichen Gegensätze der Wörter „herrlich“ und „fremd“ kombiniert, könnte darauf hindeuten, dass die Liebe des lyrischen Ichs und seines Partners kaputt ging, weil der so genannte Trott eintrat, der sich wiederum in dem regelmäßigen fünfhebigen Jambus widerspiegeln könnte, der ebenfalls regelmäßig in dem ersten und letzten Vers jeder Strophe am Ende eine überzählige Senkung aufweist. Zudem fällt auf, dass der erste und letzte Vers jeder Strophe mit einer weiblichen Kadenz und die beiden mittleren Verse jeder Strophe mit einer männlichen Kadenz enden, was eine Parallele zu dem durchgängigen Reimschema des umarmenden Reimes aufweist. Dies könnte darauf verweisen, dass die Frau den Mann in der Beziehung zu sehr einengte bzw. bedrängte, was letztlich zur Trennung geführt haben könnte. 1

 Die Trauer, die Wehmut und die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der Vergangenheit werden auch in dem häufig auftretenden Wort „wieder“) Vers fünf, neun, elf und siebzehn) sehr klar. Die Sehnsucht besteht darin, dass sich das lyrische Ich wieder nach Zuneigung und Aufmerksamkeit sehnt, die es früher schon am Anfang der Liebe von seinem Partner bekommen hat (vgl. Vers fünf bis acht)

Ab der dritten Strophe treten unreine Reime, wie zum Beispiel „sehnen - Tränen“ oder „versteht - spät“ auf, denn ab hier muss das lyrische Ich auch an weniger schöne Augenblicke in der Partnerschaft denken, wie zum Beispiel an Situationen, in denen es geweint hat oder betrübt gewesen ist - eben an unharmonische Momente. Außerdem tritt das Adjektiv „dumm“ in Zusammenhang mir „dummen Tränen“ (Vers zwölf) auf, das jenen Eindruck der Sinnlosigkeit solch unharmonischer Momente bekräftigen soll. 2

Der Ausruf des lyrischen Ichs in Vers 13 „Das alles ist vorbei…. Es ist zum Lachen!“ stellt den Übergang der Gedanken des Ichs von den Erinnerungen zu möglichen Erklärungen für das Ende der Liebe dar. Hier und  in Vers 14 wendet es sich (vielleicht) ratlos und Hilfe suchend an den Leser. Es stellt sich die Frage, an wem denn nun das Scheitern gelegen hat, am lyrischen Ich, an seinem Partner oder vielleicht an keinem von beiden, sondern am Schicksal, das bewirkt hat, dass sich die beiden auseinander gelebt haben.

Doch schon in Vers 17, d.h. am Anfang der fünften Strophe, tritt erneut das Wort „wieder“ in das Augen des Lesers. Das lyrische Ich versinkt wieder in Erinnerung an frühere Zeiten. Dann weist es aber in Vers 18 auch noch darauf hin, dass es Worte gebe, die man nur verstünde, wenn man liebt. Wenn man diese Aussage zurück bezieht, erklärt sich, warum die Liebe der beiden nicht bestehen konnte, den beide haben die Signale der Bedrohung ihrer Liebe nicht hören können, weil beide sich schon nicht mehr so geliebt haben, dass sie die Chance gehabt hätten, einander zuzuhören und damit ihre Liebe zu retten. Und in Vers 19 kommt schließlich die Einsicht des lyrischen Ichs zur Aussprache: Es lässt sich nichts mehr ändern oder bewirken. Es ist dafür endgültig zu spät! Und das Unbarmherzige des Wortes „gewesen“, wie es das lyrische  Ich in Vers 20 nennt, ist das Endgültige, nicht mehr Änderbare, das knallharte Gesicht der Vergangenheit, bei dem einem plötzlich keine Chance mehr bleibt etwas, was man getan hat, zu verbessern oder anders zu machen. Man wird gezwungen, alles, was man tut, in dem Augenblick des uns genau richtig zu machen, denn es könnte Auswirkungen auf die Zukunft haben und dann gibt es kein Zurück mehr.

Meine anfangs aufgestellte Interpretationshypothese zeigt sich aber bestätigt: Man muss das Leben und auch die Liebe - die, wenn man nicht aufpasst, so schnell vorbei ist wie ein Lied (vergleiche: Überschrift „Das Ende vom Lied“) - vorwärts leben, kann es aber nur rückwärts verstehen und es erst dann beurteilen.

                                                       

 Lehrerkommentar:

 1  Schöner Versuch, die Formsituation des Gedichts für die Deutung zu nutzen!

2 Zudem wird deutlich, dass hier an ein weibliches Rollen-Ich als Sprecher zu denken ist.

3  Beobachtbar ist noch: Das Resümee erfolgt ohne Schuldzuweisung.

  Ihre zweistündige Klausur realisiert den geforderten Interpretationsaufbau. Die ergiebige Deutungshypothese wird in der Analyse durch genaue Textarbeit (auch auf dem Arbeitsblatt erkennbar) bestätigt. Die Interpretation ist schlüssig; die sprachliche Präsentation überzeugt. Eine schöne  Leistung, Christiane. Sehr gut!

                                                                                       Christiane Thie ©  Kl. 11 GBE 2003

                                                                                                                   

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> PDF  Christiane

 Abdruck des Gedichts

    (Audio-Version)

     www.lyrikline.de

 

 

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