“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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              Nennen wir es Frühlingslied“ (Mascha Kaléko) - Zwei Deutungsversuche

                                              I.

                 

“ In das Dunkel dieser alten, kalten/ Tage fällt das erste Sonnenlicht./ Und mein dummes Herz blüht auf”

 In dem Frühlingsgedicht“ „Nennen wir es Frühlingslied“ von Mascha Kaléko (1912- 1975) „beschreibt“ das lyrische Ich das Erwachen des Frühlings und das seines Herzens, welches nun  erwacht ist und nach Liebe sucht.

Nach meiner ersten Interpretationshypothese des Gedichtes „Nennen wir es Frühlingslied“ thematisiert dies Gedicht das Erwachen des Frühlings, hier aber indirekt auch das Erwachen von etwas, das schon einmal dagewesen ist und zwar jedes Jahr , das Erwachen von Gefühlen, denn der Frühling und die Liebe gehören in gewisser Weise zusammen.

Das Gedicht ist aus vier Strophen aufgebaut, die jeweils aus fünf Versen bestehen. Das Vermaß besteht fast durchgehend aus Trochäen, nur in der 5. und 8. Zeile wechselt es zum Jambus1. Das Reimschema ist hier genau wie die Kadenzen in jeder Strophe unterschiedlich.2 Es fällt aber auf, dass innerhalb der Strophe jeweils reimende Wörter auch die gleiche Kadenz haben. Auch gibt es mehrere Enjambements. Nach dem kalten Winter ist das lyrische Ich sehr glücklich darüber, dass der Frühling beginnt. Nun kann sein dummes Herz wieder aufblühen (I, 3). Das lyrische Ich schaut voller Erwartung auf diesen April, denn dieser verspricht viel („Auch der schönste Frühling kann nicht halten,/ was der werdende April verspricht“ I, 4-5).

In der zweiten Strophe personifiziert das lyrische Ich die Veilchen; sie würden so tun, als hätte es nie zuvor eine solch laue Luft und blauen Duft gegeben. Die Menschen sind wieder einmal sehr erstaunt über die Natur und ihre Schönheit. „Die Amseln üben schon im Chor“ (II, 6), das könnte bedeuten, dass alle zusammen das Neue erkunden und den Frühling mit seiner ganzen Pracht sehen wollen. Die „totgesagten Jahre“ (III, 13) werden erneut belebt durch neue Freude und Gefühle, denn damals sagten noch alle „Ich lieb dich“ (III, 15). Das lyrische Ich bestreitet, es sei alles nur Einbildung gewesen, denn für alles gebe es Beweise (IV, 16-17). Es wiederholt diesen „alten Brauch“ des neuen Erwachens jedes Jahr im Frühling und ergibt sich ihm, auch wenn sich die Zeiten geändert haben (IV, 18-19). Sein „wintermüdes Herz“ geht jedes Jahr auf Reisen, auch wenn es weiß, dass diese Zeit ganz schnell zu Ende sein kann   (I, 4). Der Frühling ist also in gewisser Weise mit der Liebe zu vergleichen: Wenn sie beginnt, ist alles wunderschön und man kann seine Gefühle kaum in Worte fassen, aber andererseits kann das alles auch sehr schnell zu Ende sein, genau wie der Frühling. Ist man verliebt, kommt einem alles gleich vie schöner vor oder man entdeckt dadurch Sachen 3    überhaupt erst II, 9-10). Überall scheint die Liebe dann zu stecken („Und es ist, als reimten alle Lieder/ sich wie damals auf „Ich liebe dich“).

Auch die Kastanien werden personifiziert, sie würden feierlich ihre weißen Kerzen4 anzünden (III, 11-12).  Zum einen „beschreibt“  das lyrische Ich das Blühen der Kastanien im Frühling, zum anderen nennt es auch das feierliche Gefühl von Verliebten, die sich so über ihr Glück freuen. Die Liebe ist also auch nach außen sichtbar, man braucht nicht erst nach Beweisen zu suchen (IV, 17).

Nach der Analyse und Interpretation des Gedichtes möchte ich meiner ersten Interpretationshypothese zustimmen, dass das Gedicht das Erwachen des Frühlings und gleichzeitig das der Liebe verdeutlicht. Man kann beides miteinander vergleichen und feststellen, dass der Frühling und die Liebe anscheinend sehr ähnlich sind. Am Anfang ist  man davon überwältigt, weiß aber gleichzeitig auch ganz genau, dass alles vergänglich ist (Z 18-19). Man braucht aber keine Angst zu haben, die  Liebe sei ein einmaliges Ereignis. Sie kommt immer wieder, auch wenn sich die Zeiten ändern und man älter wird.

Ich finde das Gedicht „Nennen wir es Frühlingslied“ von Mascha Kaléko sehr schön. Es beschreibt5 den Frühling und seine Schönheit nach einem vielleicht sehr langen, kalten und vor allem grauen Winter. Ich freue mich jedes Jahr auf den Frühling, alles wird wieder grün und es wird wärmer. Der Frühling steht bei uns in der Gesellschaft für Verliebsein und neue Liebe und genau diesen Vergleich zieht auch Mascha Kaléko.  Sie schafft es geschickt, beides miteinander zu verbinden und vielleicht; hat sie das Gedicht in irgendeinem Frühling geschrieben, in dem auch sie verliebt war.

 Lehrerkommentar:

 1  Auf der Kopie hast du die Verse zutreffender als Trochäen bestimmt.

 2 Das Reimschema ist unregelmäßig; du hast Recht. Aber die Variationen des Paarreims in Strophe I - II

     könntest du erwähnen.)

3  Bitte genauer!    

4  Dies Bild der Kerzen hat auch eine religiöse Dimension: Kerzen werden auch in Kirchen zu                 feierlichen Anlässen entzündet, z.B. während der Beerdigungszeremonie (…bringt  die totgesagten Jahre wieder“).

 5  Lyrik beschreibt nicht“!  Auflage: Suche mindestens zehn Ersatzformulierungen, die nicht  schon       fachbegrifflich festgelegt sind.)

 Fazit: Eine rundum schöne, geschlossene Interpretationsleistung. Die Verbindung von „Natur- und Liebeslyrik“ ist deutlich herausgearbeitet. (Die Textarbeit könnte man sich intensiver vorstellen. Aber du hattest ja auch nur zwei Stunden Zeit.)                                    

                                                                  Charlotte Bärmann ©   GBE Kl. 10/ 2006

 

                                                                    II.

 Ich beschäftige mich mit dem vorliegenden Gedicht „Nennen wir es Frühlingslied“ von Mascha Kaléko (1912 - 1975):

Das lyrische Ich erkennt das allmähliche Aufkommen des Frühlings nach der kalten Jahreszeit. So keimt auch die Liebe wieder auf. Eine schon vergessene, tot geglaubte Zeit, in der es sich nach der menschlichen Liebe sehnt und diesbezüglich seinem Herzen, soll wieder Einzug halten.

Die Autorin hat ihr Gedicht in vier Strophen mit je fünf Versen unterteilt, die letzte Strophe hat einen Vers mehr. Im Metrum überwiegt der fünfhebige Trochäus, er kommt auch sechshebig vor. Die Kadenz ist ungleichmäßig wechselnd. Auch das Reimschema ist wechselnd. Diese Unregelmäßigkeit drückt auch eine gewisse Unregelmäßigkeit und Ungewissheit des lyrischen Ichs aus. Es weiß nicht genau, wie es seine Gefühle in Worte fassen soll, So lautet der Titel schon „Nennen wir es Frühlingslied“, als ob keine besseren  Bezeichnung gefunden wurde und genauso gut ein anderer Titel hätte gewählt werden können.

                                                         Die erste Strophe beginnt damit, dass die momentane Situation geschildert wird. “In das Dunkel dieser alten, kalten/ Tage fällt das erst Sonnenlicht.“(Z 1,2) Es ist wahrscheinlich noch Winter, deswegen ist es auch dunkel und kalt. Doch dann verändert sich dies, das erste Sonnenlicht fällt, gibt eine Vorahnung auf das, was kommen mag. Schon bei diesem ersten Lichtblick blüht das Herz des lyrischen Ichs auf „(…) als wüsst es nicht:/ Auch der schönste Frühling kann nicht halten, /Was der werdende April verspricht“ (Z 3-5). Das Herz wird als Symbol des Seelenraums benutzt. Bei diesem Vorausblick auf die kommende Jahreszeit, auf das, was die Zukunft bringt im allgemeinen, hat das lyrische Ich sehr positive Assoziationen. Das Herz blüht auf, wie Blumen im Frühling aufblühen, was eine Metapher ist; Freude wird gezeigt. Was  konkret der werdende April verspricht, wird nicht genannt.

Im Gegensatz zur ersten Strophe scheint in der zweiten der Frühling schon Überhand genommen zu haben. „Da, die Amseln üben schon im Chor/Aus der Nacht erwacht die Welt zum Leben (Z 6,7). Mit dem Stilmittel einer Metapher wird der Winter mit dem Schlaf der ganzen Welt verglichen, die nun mit dem des Frühlings langsam aufwacht. Die Amseln „üben“, um auf die kommende Jahreszeit vorbereitet zu sein. Eine Erinnerung an einen vorherigen Frühling scheint es nicht zu geben. „Veilchen tun, als hätt’ es nie zuvor/ laue Luft und blauen Duft gegeben (Z 9,10). So ist auch der mit dem Frühling in Verbindung gesetzte Flötenton Pans vergessen worden.

„Die Kastanien zünden feierlich/ ihre weißen Kerzen an (Z 11, 12), so beginnt die dritte Strophe. ES weist den Leser auf die Wichtigkeit der Bedeutung des Folgenden hin: „Der Flieder bringt die totgesagten Jahre wieder/ Und es ist, als reimten alle Lieder/Sich wie damals auf „Ich liebe dich“ (Z 12-15). Zum ersten Mal wird der direkte Bezug zur Liebe hergestellt. Außerdem wird auf eine Vergangenheit, die „totgesagten Jahre angespielt. Zuvor wurde jede Erinnerung an frühere Zeit, den vergangenen Frühling, abgestritten. Doch hier wird gesagt, dass die Vergangenheit zwar totgesagt war, gewissermaßen verdrängt, aber dennoch existiert. Nun erhält diese Zeit sogar wieder Einzug in das Leben des lyrischen Ichs. Damals war Liebe gegenwärtig, nun scheint der kommende Frühling mit all seinen typischen Merkmalen wie Licht und Blühen wieder daran zu erinnern.                               

In der dritten Strophe wird eine fiktive Person - oder auch der Leser direkt - angesprochen: „Sag mir nicht, das sei nur Schall und Rauch“ (Z 16). Mit diesem Ausruf soll klar werden, dass die Gefühle wahr sind, nicht zu verleugnen.  „Denn wer glaubt, der forscht nicht nach Beweisen“. Das lyrische Ich vertraut somit seinem Herzen, welches in der ersten Strophe noch als dumm, quasi naiv dargestellt wurde. Es fügt sich willig dem alten Brauch, folgt dem Pfad der Liebe. „Ist der Zug auch am Entgleisen „ (Z 19). Mit diesem Einschub wird auf mögliche Gefahren dieser Lebensführung hingewiesen, wie Schmerz und Verletzung. Vielleicht wurden Erfahrungen dieser Art in der Vergangenheit, den „totgesagten Jahren“ bereits gemacht und haben das lyrische Ich sich  von der Liebe entfernen lassen, es in einen Winter seines Lebens gedrängt. Jetzt aber soll es wieder anders werden: „Und wie einst in diesem Frühjahr auch/ Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen“. Ein Blick auf die Zukunft, die der Vergangenheit, dem einstigen Frühjahr ähnelt, wird gegeben. Das lyrische Ich ist den Winter, das Dunkel, die Abwesenheit von Liebe leid, und schickt sein Herz erneut auf Reisen, um Liebe zu erfahren.

Anhand dessen bestätigt sich also, was ich bereits zu Anfang meiner Interpretation vermutet habe. In dem Gedicht „Nennen wir  es Frühlingslied“ zieht der Frühling wieder ein, gleichzeitig findet die Liebe, die zuvor in einer Zeit des Dunkels nicht zugelassen wurde, wieder Einzug in das Leben des lyrischen Ichs. Diese beiden Elemente, das Kommen des Frühlings und der Einzug der Liebe wurden hierzu miteinander verknüpft.

 Mir gefällt Mascha Kalékos Gedicht „Nennen wir es Frühlingslied“, da mich Thema und Gestaltung ansprechen. Es endet mit dem Ausblick auf ein schöneres Leben, in dem die Liebe wieder ihren Platz gefunden hat. Darauf wird während des ganzen Gedichts hingezielt. Strophe für Strophe wird dem Leser allmählich klar, was in den letzten Versen konkret gesagt wird.

 

 Lehrerkommentar:

1. Vers 3 ist sechshebig mit fehlender Senkung; allen männlichen Kadenzen fehlt die Senkung.

2. Der April ist für seine Wetterunbeständigkeit bekannt. Denkbar vielleicht, dass hier mit der Aussage die Unbeständigkeit bzw. die Unvorhersehbarkeit menschlicher Gefühle  gemeint ist.     

3 .Kerzen gehören zu feierlichen Anlässen, zu freudigen und traurigen.

Bis auf kleinere Ungenauigkeiten bei der Ausführung zur Form, lieferst du hier eine sehr stimmige und feinsinnige Interpretation ab. Du hast die Botschaft des Gedichts genau verstanden. Eine wirkliche schöne Leistung!

                                                 Tanja Kuhlenschmidt  ©  - GBE Kl. 10 / 2006 (zweistündig)

                                                                                                                                       

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