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  Lesen schadet den Augen

 

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                   Hölderlins „Diotima“  Susette Gontard (1769 - 1802)

     

                                  Brief an Friedrich Hölderlin

     

       l. Frankfurt

      etwa Ende September/Anfang Oktober 1798

     

    Ich muß Dir schreiben Lieber! Mein Herz hält das Schweigen gegen Dich länger nicht aus, nur  noch  einmal laß meine Empfindungen sprechen vor Dir, dann will ich, wenn Du es besser findest, gerne, gerne, still sein.

                Wie ist nun, seit Du fort bist, um und in mir alles so öde und leer, es ist als hätte  mein   Leben alle Bedeutung verloren, nur im Schmerz fühl ich es noch . . .

                Wie lieb ich nun diesen Schmerz, wenn er mich verlassen und es wieder dumpf in mir  wird,  wie such ich ihn mit Sehnsucht wieder, nur meine Tränen über unser Schicksal können  mich noch freun . . . Sie fließen auch reichlich, wenn ich Abends, schon  um neun  Uhr,  den Tag zu verkürzen, mit den Kindern zur Ruhe mich lege, wenn alles still ist und niemand mich sehen kann. Wie! dachte ich dann oft, soll künftig diese geliebte, reine Liebe wie Rauch  verfliegen und sich auflösen, nirgends eine bleibende Spur zurücklassen? – Da kam der  Wunsch in mich, noch durch geschrie-  bene Worte, für Dich, ihr ein Monument zu errichten  das unauslöschlich die Zeit doch unverändert schonet. Wie möchte ich, mit glühenden Farben, bis auf ihre kleinsten Schattierungen, sie malen, und sie ergründen, die edle Liebe des  Herzens, könnte ich nur Einsamkeit und Ruhe finden! So, beständig gestört zerrissen, kann  ich nur stückweise sie fühlen, suche sie beständig, und doch    ist sie ganz in mir! —

                Im offnen, freien Feld ist es mir noch am besten, und ich sehne mich beständig hinaus,    wo ich den lieben Feldberg sehe, der Dich Böser wie eine Wand sanft aufhält, daß Du mir  nicht weiter entfliehest! - Komm ich aber wieder nach Hause, ist es nicht mehr wie sonst,  sonst  wurde es mir so wohl, wieder in Deine Nähe zu kommen, jetzt ists als ginge  ich  in einen großen Kasten mich da einsperren zu lassen; kamen sonst meine Kinder, von Dir, zu mir herunter, wie stärkte  es mein oft traurend Wesen, wenn eine sanfte Röte, ein  tieferer Ernst, eine  Träne  im Aug mir noch den Einfluß von Dir verriet, jetzt haben  sie nicht mehr diese Bedeutung  für  mich und ich  muß oft meine Gefühle für sie zurechte  weisen . . .

                So weit hatte ich schon in den 1ten 8 Tagen Deiner Entfernung geschrieben, und mein  Herz kämpfte mit meiner Vernunft ob ich würklich diese Zeilen Dir schicken sollte, oder nicht; mein Herz siegte, in dem Fall, daß alle andere Beziehungen mit Dir mir abgeschnitten würden, Gelegenheit zu suchen Dir wenigstens Rechenschaft davon zu geben, denn den Gedanken so nah  wie wir noch zu leben, und nach solcher Innigkeit gar nichts von einander zu hören und wissen zu wollen, konnte ich nicht fassen, es wäre mir unmöglich, diese Enthaltsamkeit mit Zartheit des Gemüts zu reimen, und ich glaube fast, Du mußtest das von mir erwarten, und hättest wenn ich schwiege Ursache mich des Gegenteils zu beschuldigen. Du konntest nicht zuerst schreiben, das fühlte ich wohl, weil ich immer dagegen war. Diese Gedanken bestimmten mich, verdenke es mir nicht daß ich Dir schrieb, und daß ich Dir klage; wären diese Klagen nicht zugleich Beweise  meiner Gefühle, gewiß, Du würdest sie nicht hören. Jetzt bekam Henry (= Susettes ältester Sohn; PG)  Deinen Brief, welcher mich sehr aufrichtete, ich hatte immer nur Deine neue Freiheit und Unabhängigkeit vor Augen, Dein häuslich Leben, Deine stillen Zimmer und Deine grünen Bäume, am Fenster; Deinen Brief, diesen lieben Trost behielt ich aber kaum eine Viertelstunde, indem Henry ihn mir sehr gewissenhaft zurückforderte, um ihn zu zeigen, und so bekam ich ihn nicht wieder. Ich weiß nicht was Henry bei dieser Gelegenheit alles verboten wurde, ich fand  ihn aber nachher sehr verändert, und er scheute sich Deinen Namen zu nennen. Du kämest nach Frankfurt und ich sah Dich nicht einmal von weitem, das war mir sehr hart! ich hatte immer auf den Sonnabend gerechnet, doch mußte ich eine Ahndung von Dir haben, denn ich öffnete, am  Abend wie Du vorbeigingest, ungefähr um halb 9 Uhr das Fenster und dachte, wenn ich Dich doch im Schein der großen Laterne erblickte. Einige Zeit nachher, als ich Henry zum Hegel schicken  wollte, antwortete er, es sei ihm nicht mehr erlaubt, ich sagte ihm sehr ernsthaft, daß er ein undankbares Herz hätte wenn er gegen dieses Verbot gar keine Einwendungen gemacht, und        wenn es ihm nicht sehr leid wäre, es half nichts, er sagte, er müsse doch gehorsam sein.

                Jetzt wo denn alle Wege der Mitteilung uns abgeschnitten sind, und ich dadurch sehr empört bin, hoffe ich auf den Mann, den Du aus dem Gasthofe uns schicktest.

                Du kannst mir, wenn Du es gut findest, und Sinclair einmal hierher kömmt, ihn bitten,  wenn es angeht, und Du Dich nicht gegen ihn in ein falsches Licht setzest, mich zu besuchen, und mir durch ihn den Hipperion schicken wenn Du ihn schon bekommen, es ist mir nicht möglich  ihn für ein paar Geldstücke zu kaufen. Ich werde dann wieder Nachricht von Dir bekommen, wie sehr wird es mich freuen! wenn es Dir gut gehet! -

                Man begegenet mir, wie ich vorhersah, sehr höflich, bietet mir alle Tage neue Geschenke, Gefälligkeiten und Lustpartien an, allein, von dem, der das Herz meines Herzens nicht schonte, muß die kleinste Gefälligkeit anzunehmen mir wie Gift sein, so lange die Empfindlichkeit dieses Herzens dauret, denn wer könnte wohl auf den Sturz seines Freundes sich sogenannte gute    Tage machen wollen, noch Selbstgefühl und Zartheit behaupten; aus diesem Gefühl lebe ich also gerne einfacher wie sonst, schränke aus Neigung meine Bedürfnisse ein, dieser Stolz, und dies Gefühl sind mir lieber als alle Güter der Erde. Gott! meine Liebe! bewahre mich darin. Ich bin  fast  immer allein mit den Kindern, suche ihnen so nützlich zu werden wie ich kann.

                Schon oft habe ich es bereut, daß ich Dir beim Abschied den Rat gab auf der Stelle Dich  zu entfernen, noch habe ich nicht begriffen, aus welchem Gefühl ich so dringend Dich bitten  mußte, ich glaube aber, es war die Furcht, vor der ganzen Empfindung unserer Liebe, die zu laut   in mir wurde bei diesem gewaltigen Riß, und die Gewalt welche ich fühlte machte

    mich gleich zu nachgiebig; wie manches, dachte ich nachher, hätten wir noch für die Zukunft ausmachen können? hätte nur unser aus einander Gehen nicht diese feindselige Farbe ange- nommen, niemand hätte Dir den Zutritt in unser Haus wehren können, aber jetzt, o! sage mir  Du Guter, wie gehet es wohl an, daß wir uns wiedersehen? sei es auch noch so entfernt? —  Dem ganz entsagen kann ich nicht! Es bleibt immer meine liebste Hoffnung! . . . Sinne darauf.

                Oft werde ich Dir nicht schreiben können, dieser Gelegenheit traue ich höchstens nur einmal. Du wirst durch Sinclair ein paar Zeilen zurückbekommen. Auch glaube ich, daß es künftig mit der Komödie nicht mehr so oft angehet, man würde es bald merken weil man nicht gewohnt  ist, daß ich bei schlechten Stücken hingehe, und wir wollen doch keine Zuschauer, auch würde es mir zu leid tun Dich bei schlechtem Wetter unterwegends zu wissen; wir wollen also, wenn Du es gut findest, diese Einrichtung machen, Du kömmst alle Monat den 1sten Donnerstag, und wenn es schlecht Wetter ist, den 1sten darauffolgenden schönen Komödien-Tag, und ich richte mich danach. Da habe ich Dir viel Worte machen müssen, und hätte Dir schon gerne so viel gesagt, das Rechte kann ich aber nicht ausdrücken, es bleibt tief in meinem Herzen begraben, nur Tränen der Wehmut können das sagen, und wieder stillen. Du siehst wohl, ich kann die Worte  nicht finden! . . . Ich bin so verändert, dieser gewaltige Schlag des Schicksals hat mich ganz in  mich selbst gekehrt, ein tiefer heiliger Ernst herrschet durch mein ganzes Wesen,  nur oft  ist's mir so dumpf, und ich habe keine Besinnung; will ich dann lesen, stehen meine Gedanken still, und  wollen nicht weiter, ich kann nur das Nötigste tun, und bin zum Verwundern geduldig. Meine Gesundheit ist übrigens gut, nur fehlet es mir an Mut und Tätigkeit, ich bin ein wenig gelähmt,  und möchte nur immer so hinsitzen, träumen möchte ich auch! aber auch meine  Phantasie will mir oft nicht dienen, o! es wird gewiß besser, wenn ich nur erst weiß daß die Nachrichten von Dir mir nicht fehlen können und ich immer einen Gesichtspunkt, einen Tag der Hoffnung, vor mir habe, denn die Hoffnung hält uns allein im Leben . ..

    Das bleibt gewiß daß ich nie ändere . . .

                                               So weit schrieb ich am Mittwoch.

                                                                                                                                                       

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