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Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230)
(Lieder der ersten Wanderzeit: 1198 – 1203)
1
Der rife tet den kleinen vogelen we,
daz si niht ensungen.
Nu hoere ichs aber wünneclich als e,
nust diu heide entsprungen.
Da sach ich bluomen striten wider den kle,
weder ir lenger waere.
Miner frowen seit ich disiu maere.
2
Uns hat der winter kalt und ander not
vil getan ze leide.
Ich wande daz ich iemer bluomen rot
gesaehe an grüener heide.
Joch schadet ez guoten liuten, waere ich tot,
die nach fröiden ringen
und die gerne tanzen unde singen.
3
Versumde ich disen wünneclichen tac,
so waer ich verwazen.
Und waere mir ein angeslicher slac:
dennoch müeze ich lazen
Al min fröide der ich wilent pflac.
got gesegen iuch alle,
wünschet noch daz mir ein heil gevalle!
Walther von der Vogelweide (Adaption)
Frühling im Blick
1
Den kleinen Vögeln tat der Winterfrost weh,
sodass sie das Singen vergaßen.
Jetzt aber hör ich sie freudvoll wie eh
nun ist die Gegend erblüht.
Da sah ich die Blumen im Kampf mit dem Klee
welcher mächtiger sei.
Meiner Herrin gab ich Bericht.
2
Uns haben Kälte und Winternot
viel Leidvolles angetan.
Es kam mir so vor, dass ich niemals mehr
rote Blumen im Grünen zu sehen bekäme.
Doch mein Tod hätte keinem der Guten genutzt
die sich um Fröhlichkeit mühen
und gerne tanzen und singen.
3
Verpasste ich diesen ersehnten Tag
dann fühlte ich mich bestraft
und es wäre ein schrecklicher Schlag.
Überdies bliebe dann unerweckt
alle Freude, die mich jemals erfüllt hat.
Gott segne euch alle – so wünscht
auch mir meinen Anteil am Frühlingssegen!
Adaption: Lyrikschadchen © - 2007
Ludwig Uhland (1787 – 1862)
Frühlingsglaube
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)
Frische Fahrt
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Mutger Augen lichter Schein,
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß
Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von Euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! Ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)
Frau Venus
Was weckst du, Frühling, mich von neuem wieder?
Dass all die alten Wünsche auferstehen,
Geht übers Land ein wunderbares Wehen;
Das schauert mir so lieblich durch die Glieder.
Die schöne Mutter grüßen tausend Lieder,
Die wieder jung, im Brautkranz süß zu sehen;
Der Wald will sprechen, rauschend Ströme gehen,
Najaden tauchen singend auf und nieder. ( = Wassernymphen)
Die Rose seh’ ich gehn aus grüner Klause
Und, wie so buhlerisch die Lüfte fächeln,
Errötend in die laue Flut sich dehnen.
So mich auch ruft ihr aus dem stillen Hause –
Und schmerzlich nun muss ich im Frühling lächeln,
Versinkend zwischen Duft und Klang vor Sehnen.
*
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Die schönen Augen der Frühlingsnacht,
Sie schauen so tröstend nieder:
Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,
Die Liebe, sie hebt dich wieder.
Auf grüner Linde sitzt und singt
die süße Philomele;
Wie mir das Lied zur Seele dringt,
So dehnt sich wieder die Seele
. *
Philomele: eine recht blutrünstige Gestalt der griechischen Mythologie, deren Rachegefühle – vergewaltigt und
der Zunge beraubt - erst durch Zeus besänftigt werden, indem er sie in eine Schwalbe/ Nachtigall
verwandelt; vielleicht hier ein metaphorisches Bild für den Kampf der Jahreszeiten in der erwachenden Natur.
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Mondscheintrunkne Lindenblüten,
Sie ergießen ihre Düfte,
Und von Nachtigallenliedern
Sind erfüllet Laub und Lüfte.
Lieblich lässt es sich, Geliebter,
Unter dieser Linde sitzen,
Wenn die goldnen Mondeslichter
Durch des Baumes Blätter blitzen.
Sie dies Lindenblatt! Du wirst es
Wie ein Herz gestaltet finden;
Darum sitzen die Verliebten
Auch am Liebsten unter Linden.
Doch du lächelst, wie verloren
In entfernten Sehnsuchtsträumen –
sprich, Geliebter, welche Wünsche
Dir im lieben Herzen keimen?“
Ach, ich will es dir, Geliebte,
Gern bekennen, ach, ich möchte,
Dass ein kalter Nordwind plötzlich
Weißes Schneegestöber brächte;
Und dass wir, mit Pelz bedecket
Und im buntgeschmückten Schlitten,
Schellenklingend, peitschenknallend,
Über Fluss und Fluren glitten.
*
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Frühlingsfeier
Das ist des Frühlings traurige Lust!
Die blühenden Mädchen, die wilde Schar,
Sie stürmen dahin, mit flatterndem Haar
Und Jammergeheul und entblößter Brust: -
Adonis! Adonis!

Es sinkt die Nacht. Bei Fackelschein
Sie suchen hin und her im Wald,
Der angstverwirret widerhallt
Von Weinen und Lachen und Schluchzen und Schrein:
Adonis! Adonis!
Das wunderschöne Jünglingsbild,
Es liegt am Boden blaß und tot,
Das Blut färbt alle Blumen rot,
Und Klagelaut die Luft erfüllt: -
Adonis! Adonis!
Anm.:
Adonis - gr. Mythos: der von einem Eber getötete Geliebte der Aphrodite; schöner Jüngling;
nach einem orient. Mysterienkult verkörpert der sterbende und auferstehende Gott die
bald nach ihrem Aufblühen von der heißen Sommersonne versengte Frühlingsvegetation
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute,
Klinge, kleines Frühlingslied
Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag ich lass sie grüßen.
Luise Hensel (1798 - 1876)
Kein Frühling mehr
Es sitzt in trauter Zelle
Am Fenster ein Mägdlein bleich
Und schaut hinab in die Welle,
Da rollen zwei Perlen helle
Wohl in das Wasser gleich.
Sie hört eine Flöte von weitem,
Sie blickt auf Schilf und Rohr;
Da keimen verlorene Freuden,
Da sprossen vergessene Leiden
Ihr frisch im Herzen empor.
»Die Welle rinnt und schäumet,
Grün Laub schmückt wieder den Baum.
Ach, Frühling, hast lange gesäumet!
Nur ist mir, als hätt' ich geträumet
Ein'n langen, schweren Traum.
»Ich weiß, der Lenz schwebt nieder,
Ich weiß wohl: es ist Mai;
Doch kehren dieselben Lieder,
Dieselben Blumen nicht wieder;
Ist alles anders und neu.«
*
Eduard Mörike (1804 - 1875)
Er ist’s
Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
- Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’ s!
Dich hab ich vernommen!
Johannes Trojan (1837 – 1915)
Offiziöser Frühling
Einzugsberechtigt
Naht sich, ermächtigt
Von der Behörde,
Der Lenz der Erde.
Bei günstigem Wetter
Erscheinen Blätter,
Um das zu lohen,
Was kommt von oben.
Geprüfte Lerchen,
Gefolgt von Störchen
Mit Meldescheinen
Ziehn an auf Rainen.
Von Veilchendüften
Erfüllt sind Triften;
Was zur Vergnügung
Dient — laut Verfügung.
Grün färbt der Wald sich,
Wos Volk alsbald sich
Der Vöglein gattet,
Nachdems gestattet.
Die Frösche laichen
In Kalmusteichen
Gehobnen Hauptes —
Der Staat erlaubt es.
Vermerkt in Listen
Durch Polizisten
Lässt sich auf Flieder
Der Käfer nieder.
Um zu erfüllen
Des Landraths Willen
Muss Hafer spriessen
Und Spargel schiessen.
Für Frühlingsgaben,
Umsonst zu haben,
Dankt der Regierung
Durch gute Führung.
Johannes Trojan (1837 – 1915)
Der Mai
Nun ist es Mai, denn es verstrich
Soeben der April,
Und rings umher entwickelt sich
Unendliches Chlorophyll.
Die Zellenbildung schreitet vor,
Besonders bei der Saat;
Es wälzt der Vegetarier Chor
Sich jauchzend im Spinat.
Die Lerche schwimmt im reinen Blau
Und trillert immerfort;
Der Dichter dichtet von der Au,
Der Vogel pflanzt sich fort.
Die Motte schwärmt ums Kanapee
Und nähert sich dem Licht;
Zum Corso strömt die Haute- volée –
Der Mittelstand kanns nicht.
Und schön ist Alles ringsumher
Und Alles ganz wie neu.
Wenn nicht die Spargel so theuer wär,
Wie herrlich wäre der Mai.
Johannes Trojan (1837 – 1915)
(Hauptstädtischer Frühling III)
Das Bockbier
Kommt, Kinder, seht den Vater an!
O seht, wie sieht er aus!
Dass man ihn kaum erkennen kann,
So taumelt er ins Haus.
Er schwankt und wankt, als hätt' er, ach,
Verloren jeden Halt!
Wie ist er auf den Beinen schwach.
Und hört nur, wie er lallt!
Wie sieht er aus, wie sonderbar!
Zerknittert ist sein Hut!
So ist er einmal nur im Jahr —
Es wär' auch sonst nicht gut.
Sein Regenschirm scheint fort zu sein,
Zerrissen ist sein Rock!
Jetzt zieht der Frühling draussen ein,
Denn Vater kommt vom Bock.
*
Detlev von Liliencron (1844 – 1909)
Märztag
Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder,
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen,
Wollt’ es halten, musst’ es schwimmen lassen.
Augustin Wibbelt (1862 - 1947)
Fröhjaohr
Dat Liäben is nich daut to kriegen,
Et will ut swatte Äer stiegen
Met sine grönen Poten.
Wat is all buten, wat no binnen,
Et klaiet un steiht, wo män to finnen (klaien= klettern)
En Plätzken, üm to foten. (foten = Fuß fassen)
Rächt so! Dat Liäben mott gewinnen.
*
Arno Holz (1863 – 1929)
Erste Lerche
Zwischen Gräben und grauen Hecken,
den Rockkragen hoch, beide Hände in den Taschen,
schlendere ich durch den frühen Märzmorgen.
Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland,
so weit ich sehn kann.
Dazwischen,
mitten in den weißen Horizont hinein,
wie erstarrt,
eine Weidenreihe.
Ich bleibe stehn.
Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.
Nur die Luft und die Landschaft.
Und sonnenlos., wie den Himmel, fühle ich mein Herz!
Plötzlich ... ein Klang!
Ich starre in die Wolken.
Über mir,
jubelnd,
durch immer heller werdendes Licht,
die erste Lerche!
(aus: A. Holz, Phantasus, Erstes Heft Berlin 1898)
Max Dauthendey (1867 - 1918)
Die Amseln haben Sonne getrunken
Die Amseln haben Sonne getrunken,
Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
In allen Herzen nisten die Amseln,
Und alle Herzen werden zu Gärten
Und blühen wieder.
Nun wachsen der Erde die großen Flügel
Und allen Träumen neues Gefieder,
Alle Menschen werden wie Vögel
Und bauen Nester im Blauen.
Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
In allen Seelen badet die Sonne,
Alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
Liebend zusammen.
*
Else Lasker – Schüler (1869 – 1945)
Frühling
Wir wollen wie der Mondenschein
Die stille Frühlingsnacht durchwachen,
Wir wollen wie zwei Kinder sein,
Du hüllst mich in dein Leben ein
Und lehrst mich so, wie Du, zu lachen.
Ich sehnte mich nach Mutterlieb‘
Und Vaterwort und Frühlingsspielen,
Den Fluch, der mich durch’ s Leben trieb,
Begann ich, da er bei mir blieb,
Wie einen treuen Feind zu lieben.
Nun blühn die Bäume seidenfein
Und Liebe duftet von den Zweigen.
Du musst mir Mutter und Vater sein
Und Frühlingsspiel und Schätzelein!
-- Und ganz mein Eigen...
Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929)
VORFRÜHLING
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten.
Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern nacht.
Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)
FRÜHLING ist wiedergekommen. Die Erde
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
viele, o viele … Für die Beschwerde
langen Lernens bekommt sie den Preis.
Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an dem Barte des alten Mannes.
Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!
Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.
O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen Stämmen: sie singts, sie singt!
(1922)
Rainer Maria Rilke ( 1875 – 1926)
Vorfrühling
HÄRTE schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiese aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,
greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.
Oskar Loerke (1884 – 1941)
Die Frühlingsfähren
Die Mühle zielt mit ihrem Flügel
Nach einem fernen Haselbusch,
Der Maulwurf gräbt und wirft den Hügel,
Als baue er den Hindukusch.
Und aller Bauern Güter gären,
Und alle Gärten kochen Seim,
Und rings gehn unsichtbare Fähren
In süßen Kurven nach Nirgendheim.
Im Walde springt es wie von Riegeln,
Da quillt das rote Harz vom Kien
Und hockt in Buckeln, Blasen, Spiegeln
An Stämmen, die gen Himmel ziehn.
Im Walde haust ein wildes Schwären,
Das rauscht bei Nacht wie offner Most,
Jetzt fahren unsichtbare Fähren:
Steig ein nach Süd! Komm mit nach Ost!
Wie Handwerksburschenträume tanzen
Die Wolken, seelenvoll besonnt,
Als berstend dickgefüllte Ranzen
Von Horizont zu Horizont.
Die Himmel werden weit und gären
Wie neuer Welten Sauerteig.
Hoch steigen unsichtbare Fähren
Entgegen jedem Zukunftsreich.
Die blaue Luft hat lauter Türen,
Und blaue Türen sind die Seen
In unsre Erde: sie verführen
Verliebte Menschen, einzugehn.
Und immer höher gehn die Fähren.
Mit Kraut verwächst, ein schlecht Idol,
Die Erde, doch von selgen Heeren
Schallts auf sie nieder: Fahrewohl!
Die Ströme ziehn wie blanke Seile,
Vor die ein Sturmpferd sich gespannt.
Und schleppen sie noch eine Weile,
So werfen sie ins Meer ihr Land.
Fast jeder keucht nach andern Meeren,
Die Wolga, der Guadalquivir.
Laß fahren hin, denn Himmelsfähren,
Gehn, Bruder, über dir und mir.
*
Oskar Loerke (1884 – 1941)
Frühling um den Soldatenfriedhof
Ein Regen hat die Festung rotgewaschen,
Sie leuchtet wie Fanale.
Gewölk umschwebt sie dicht wie Dämpf und Aschen,
Und leuchtende Signale,
Vom Sturme in das blaue Tal verschlagen,
Sind wie der Furchen Aufgehn,
Erddüfte, die im Wind zum Himmel jagen,
Sind wie der Geister Aufstehn.
Die Friedhofsengel scheinen wie nach Geigen
Von ihrem Grab zu schreiten.
Die Mispeln tanzen in den nackten Zweigen,
Und die Soldaten reiten . . . (aus: Wanderschaft, 1911)
Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)
Neuer Frühling
Die Gartenzäune werden frisch gestrichen,
es riecht nach Farbe und nach Lenzbeginn,
und was der Wind bewahrt vom Winterlichen,
verliert allmählich Wichtigkeit und Sinn.
Die schönen Frauen wagen sich ins Freie,
zu leicht bekleidet schon und frieren sehr;
die schönste lotst mit heisrem Wollustschreie
ihr Hündchen durch den tödlichen Verkehr.
Die Omnibus-Chauffeure schmettern heiter
ein Lied, wie Sieger strahlend, hoch vom Bock.
Ein Roß geht närrisch durch mit seinem Reiter.
Buntscheckig sprüht der neue Häuserblock.
Sogar das Elendsviertel will sich schmücken:
an trüben Fenstern grüßt ein junges Grün,
und meine Hoffnung baut sich Blumenbrücken
zur Sommerinsel, wo die Rosen blühn.
(1937)
Max Herrmann-Neiße (1886 – 1941)
Unseliger Frühling
Vor diesem Frühling fühl’ ich mich benommen,
an seine Zärtlichkeiten nicht gewöhnt,
denn schwerer Krankheit bin ich grad entkommen
und mit dem Leben noch nicht ausgesöhnt.
Das Liebevolle macht mein Herz verlegen,
die Sehnsucht ist noch schwach und ungeschickt,
verzagt geht sie dem Blühenden entgegen,
weil sie im Knöspchen schon den Tod erblickt.
Das Trauern ist mir näher als das Lachen:
das Weh der Welt vergißt sich nicht so leicht;
der bunte Krokus kann mich weinen machen.
Im Winde , der das frische Grün umstreicht,
vernehme ich die Seufzer der Geplagten.
Von welchem Unheil ist dies der Beginn?
Was morgens leise sich die Lüfte sagten,
enthüllt am Abend einen schlimmen Sinn.
So geh ich durch den Lenz voll Unbehagen
ist mir bei ihm noch herbstlich grau zumut,
und auch was kommt mit holden Sommertagen,
ist voll Gewaltsamkeit und riecht nach Blut
(„Pariser Tageszeitung“ 16./17. 04. 1939
Ernst Blass (1890 - 1939)
Märzabend
Meinem Freunde Kurt Hiller gewidmet
Die Luft kommt hart und mauerhaft herein
Durch offne Fenster. Und sie bringt Bazillen
Von Influenza sicherlich herein.
Und in dem unerbittlich Mauerstillen:
Zwei schwarze Schwäne, die
Mit Fadenhälsen Hyazinthen spein.
Vom Tode werden Mädchen oft entrückt
Dem Arzte, der noch Kampfer injiziert.
Dann wieder wird in Stuben kondoliert,
Wo Schränke stehen, weise und gedrückt;
Und Menscheneinsamkeit, die schüttelfröstelnd stiert
In Räume, in luftleere Räume.
(1912)
Ernst Blass (1890 – 1939)
Vorfrühling
Es sind schon wieder Mädchen in dem Park.
Hellblauer Himmel streicht gleich einer Hand
Über dein Angesicht. Die Luft hat Mark.
Nachmittag ist im schon beschenkten Land.
Die Vögel machen flatternden Radau.
Der Ärger, vormittags, war er so arg?
Du fühlst die Luft nahrhaft und schwingend stark –
Zuweilen nur ist sie ein bißchen rauh.
Was man nicht konnt’ den ganzen Winter lang:
Im Freien sitzen, viel, auf einer Bank,
Das kann man wieder, o der Luft sei Dank.
Man kann die ganze Stadt hier übersehn.
Links ist der Sonne Abenduntergehn,
Rechts kühne Wolken, die nach Westen wehn. (1914)
Hans Bender (1919 - 2015)
Frühlingsanfang
Warum sind die Vögel im Garten
so gut gelaunt gewesen?
Haben auch sie in der Küche
das Kalenderblatt gelesen?
(aus: Hans Bender, Auf meine Art. Gedichte in vier Zeilen, Hanser Verlag 2012, S. 39;
dem Autor ein herzliches Dankeschön für die Publikationserlaubnis vom 12. 02. 2012.)
Horst Bingel (1933 - 2008)
Zwölf Runden
Alles, alles Dunst und Rauch, und
Rauch, auch der Frühling nur
ein Hauch, nur ein Hauch, du
stehst am besten, besten gar
nicht auf, sonst legt,
legt dein, legt dein
Finanzminister
seinen Finger
drauf.
aus: Horst Bingel, Den Schnee besteuern. Orte-Verlag Oberegg AI / Zürich 2009
Frau Baraba Bingel herzlich gedankt für die Abdruckerlaubnis.
Peter Härtling © (1933 - 2017)
Schon im März kannst du die Apfelbäume
zwischen Dorf und Berg singen hören: leise und trunken
von Erwartung. Manchmal gehen Bäume zwischen
Stämmen und zählen die Blüten, die es regnet:
Sterntropfen, weiß mit einem goldenen Kern.
*
aus: Peter Härtling, Fenstergedichte. Radius Verlag, Stuttgart 2007, S. 44
Hermann Hesse (1877 – 1962) Frühling in Locarno (Wipfel wehn in dunklem Feuer)
Rose Ausländer (1901 – 1988) Dehnen (Die Bäume/ schlagen schon aus)
Flüchtiger Frühling (Turmuhr/ Mitternachtsfaust)
Günter Eich (1907 – 1972) März (Manche hoffen noch,/das Jahr werde hier ende)
Heinz Erhardt (1909 -1979) Humanistisches Frühlingslied (Amsel, Drossel, Star und Fink)
Hilde Domin (1909 -2006) Der Frühling ein riesiger Specht (hat alle Bäume verwundet)
Mascha Kaléko (1912 – 1975) Nennen wir es „Frühlingslied“ (In das Dunkel dieser
alten, kalten Tage)
Karl Krolow (1915 – 1999) Frühjahr (Es gibt noch kein Gras/ zu besingen)
Rainer Brambach (1917 – 1983) März in Basel (Was immer der März bereithält )
Paul Celan (1920 – 1970) Aufs Auge gepfropft (Aufs Auge gepfropft)
Ilse Aichinger (1921 - 2016) März (Die grauen Kühe trotten)
Jürgen Becker (* 1932) Im Frühling (Grünes, verschwindend; und mehr)
Der März in der Luft des Hochhauses (Von oben gesehen, der Stand der gelben Ereignisse)
Reiner Kunze (* 1933) Fast ein Frühlingsgedicht (Vögel, postillone, wenn/ ihr anhebt kommt der brief)
Dorias Runge (*1943) jahreszeiten ( frühling/dem bettler/das herz in den hut)
Ulla Hahn (* 1946): Frühjahr (In diesem Frühjahr blüht der Baum nicht mehr)
*
Erich Adler ©
Voyeur meiner Gärtnerin
Zwischen deinen Rosen
gehst du umher die
dreiste
Schere zwischen die Dornen
getaucht eilt sich
am Siebenschläfer vom ermüdeten
Frühling aus schon die anderen
ruchlosen
Jahreszeiten im Blick
Sieben Wochen verschärfte
Aussicht
auf
Rosa romantica.
Erich Adler ©
Fröhjaohrsmedsien
Wi sitten in ne Runde.
De Winter gait vüörbi,
de kaolte lange Luulaatsk
gäng enliks in de knai.
Kiek do, dat kleene Krütken.
De bluomen blain aal bunt.
Vördriwen griese Suorgen.
Dat Hiärt wird glieks gesunt
(för de “Plattdütske Runne Bad Essen” – April 2011)
s. a. Augustin Wibbelt. Gedichte in münsterländischer Mundart
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