Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

IMG_0010-red

                           

                                              Gedichtform Ghasel

   (arab. = Gesponnenes):  bedeutsame orientalische Gedichtform, die sich inhaltlich –

   wohl ursprünglich vom erotischen Stoff ausgehend (ghazila d.m.a.: verliebte Reden führen)

  - den beschaulichen Lebensseiten zuwendet: Lobpreis des Weines, der Freundschaft  u.a.:

  (Genaueres, vor allem zur arabischen Herkunft, s. Wikipedia; dort auch der Hinweis auf

   den Dichterstreit zwischen Heine und Platen, dem Formakrobaten)

 

  „Vergesst, dass euch die Welt betrügt, und dass ihr Wunsch nur Wünsche zeugt“ 

                                                                                                                      (Platen)

 

  In Hinblick auf die Form – im Persischen z.T. hochkomplex - gilt: Die Länge ist

 nicht vorgeschrieben; das Versmaß ist oft, aber durchaus nicht immer (s.u.) - ein

  jambischer Vierheber; das Reimwort des Paarreims wird in den folgenden geraden

  Verszeilen wieder aufgegriffen: aa  ba  ca  da   ea  …  usw. a. –    Von dieser  Reimhäufung

  geht eine sprachmagische Wirkung aus.

 

           Verwendung in der deutschen Dichtung ab dem 18. Jhdt. mit Einzelbeispielen: 

  Goethe („Behandelt die Frauen mit Nachsicht.“ – Aus dieser beschaulichen Einsicht hat

   selbst unserer Altmeister auf dem Divan  kein Ghasel gemacht.)  - Friedrich Rückert

   -  Nikolaus Lenau   Gottfried Keller – Hugo von Hofmannsthal)

 

    Johann W. Goethe (1749 - 1832)

    Da du nun Suleika heißest,

    sollt ich auch benamset sein.

    Wenn du deinen Geliebten preisest,

    Hatem! soll der Name sein.

    Nur dass man mich daran erkennt,

    Keine Anmaßung soll es sein:

    Wer sich Sankt- Georgenritter nennet,

    Denkt nicht gleich Sankt Georg zu sein.

     

    Nicht Hatem Thai, nicht der Alles Gebende

    Kann ich in meiner Armut sein;

    Hatm Zograi nicht, der reichlichst Lebende:

    Von allen Dichtern, möcht ich sein:

    Aber beide doch imAuge zu haben,

    Es wird nicht ganz verwerflich sein;

    Zu nehmen zu geben des Glückes Gaben,

    Wird immer ein groß Vergnügen sein.

    Sich liebend aneinander zu laben,

    Wird Paradieses Wonne sein.

                                               (aus: West-Östlicher Divan - Buch Suleika - Einladung )

 

 

    Ob der Koran von Ewigkeit sei?

    Darnach frag ich nicht!

    Ob der Koran geschaffen sei?

    Das weiß ich nicht;

    Dass er das Buch der Bücher sei,

    Glaub ich aus Mosleminenpflicht.

    Dass aber der Wein von Ewigkeit sei,

    Daran zweifl ich nicht;

    Oder dass er vor den Engeln  geschaffen sei,

    Ist vielleicht auch kein Gedicht.

    Der Trinkende, wie es auch immer sei,

    Blickt Gott frischer ins Angesicht.

                                            ( aus: West-Östlicher Divan – Saki Nameh: Das Schenkenbuch)

     

                 Ja, in der Schenke hab ich auch gesessen!

     

 

    Nikolaus Lenau

    (Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau,   1802 - 1850)

     

    Ghasel  (1821/22)

     

    Du, schöne Stunde, warst mir hold, so hold wie keine noch;

    Ich seh dein Angesicht erglühn im Rosenscheine noch;

    So sah den Engel Gottes einst mit Wangen freudenrot

    Im Paradiese lächelnd nahn der Mensch, der reine noch

    Du kamst mit ihr und flohst mit ihr, und seit ich euch verlor

    Versehnt ich manchen trüben Tag in jenem Haine noch

    Und fragte klagend mein Geschick: „Bewahrst in deinem Schatz

    So holde Stunde du für mich nicht eine, eine noch?“

    Dort mocht ich lauschen spät und früh; wohl flüstert’s im Gezweig,

    Doch immer schweigt noch mein Geschick – ich lausch und weine noch.

                                                                                                                                                                                                                                                                 (1821/ 22)

 

    Gottfried Keller (1819 -1890)

    Aus: Gaselen (1847)

        III.

     

    Wie schlafend unter’m Flügel ein Pfau den Schnabel hält,

    Von luft’gen Vogelträumen, die blaue Brust geschwellt,

    Geduckt auf einem Fuße, dann plötzlich oft einmal,

    Im Traume phantasierend das Funkelrad er stellt;

    So hing bestäubt und trunken, ausreckend Berg und Thal,

    Der große Wundervogel in tiefem Schlaf, die Welt,

    So schwoll der blaue Himmel von Träumen ohne Zahl,

    Mit leisem Knistern schlug er ein Rad, das Sternenzelt.

     

           

                V.

     

    Wenn schlanke Lilien wandelten, vom Weste leis geschwungen,

    Wär’ doch sein Gang, wie deiner ist, nicht gleicherweis’ gelungen!

    Wohin du gehst, da ist nicht Gram, da ebnet sich der Pfad,

    So dacht’ ich, als vom Garten her dein Schritt mir leis erklungen,

    Und nach dem Takt, in dem du gehst, den leichten, reizenden,

    Hab’ ich im Nachschaun’n wiegend mich dies Liedchen leis gesungen.

 

 

    Na, hier hat sich wohl ein Lyriker nur noch sehr locker um die Formvorgaben gekümmert;

   erhalten geblieben ist der Anspruch im Titel, aber das „ fesselnde“ identische Reimwort

  ist gelockert; es bleibt als Schema :  aa – ba – ca – (da).

 

        Oskar Loerke (1884 – 1941)

        Ghasel

         

        Was dir bittre Wolkennächte weben, räumen

        Selbst sie auf. Bald soll dein Atem eben träumen.

        Es ist Spiel. Getrost! Schon spielt es reisig draußen.

        Wo die Hauswand Wolken überschweben, zäumen

        Weiße Kinder, magisch blind und magisch langsam

        Große Rosse, die den Bug im Widerstreben bäumen.

        Kinder siegen, Kinder sterben, doch die Riesen,

        Den Bezwingern schmerzlich preisgegeben, säumen,

        Schwinden blaß, den Kopf gesengt, mit ihren Siegern.

        Künftig, gleich dem süßen Wein der Reben, schäumen

        Blaue Himmel über die schon Geistern gleichen,

        Bis auch ihre kühnen Tiefen eben träumen.

         

         

                *( aus: Oskar Loerke,  Die heimliche Stadt, 1921)

 

                                           Lyrikschadchens  Formvielfalt: Die- Gazelle (sagt Rilke)

 

 

> PDF - Ghasel

 

> Formenvielfalt