Formenvielfalt in der Lyrik:
1. Reimformen:
a) rein - unrein (Assonanz) usw.
b) identisch - doppelt - unterbrochen usw.
c) einsilbig (männlich) - zweisilbig (weiblich) usw.
d) am Anfang - innen (binnen) - am Ende (Refrain) usw.
2. Strophenformen:
a) germanisch-deutsche: Volksliedstrophe (vier- oder mehrzeilig) u.a.
b) romanisch: Stanze (Achtzeiler) u.a.
c) antik: Zweizeiler aus Hexameter und Pentameter (Distichon);
Odenstrophe (vierzeilig, Faller und Doppelfaller gemischt)
3. Gedichtformen:
Moritat/ Erzähl-/ Dinggedicht
c) Romanze (Spanien)
3. Orientalische Formen:
Ghasel
Haiku
Bänkel(song)
Wiener Moritat:
oder: der schaurige Fund im Abzugskanale, welche wahre Begebenheit den sämtlichen
liebenden Jungfrau’n jedwedes Geschlechtes zur abschreckenden Beherzigung dienen
sollte:
Schon wieder ist jüngst hier in Wien
ein Meuchelmord geschehen.
Mich schaudert’s, wenn ich denk daran,
Da ging ein Mann auf die Bastei.
O, glaubet meinen Worten.
Und tat so, wie es sich erwies,
sein Liebchen dort ermorden.
Das Mädchen hat durch diesen Mord
den größten Schmerz gelitten.
Der Mörder hat nach ihrem Tod
den Kopf gar abgeschnitten.
Dann hatte die Gedärme
er aus ihrem Leib gerissen.
Warum er diese Tat vollzog,
wird er am besten wissen.
Den Körper warf der Bösewicht
ins Wasser, ganz im Stillen,
Und tat, was sich leicht denken lässt,
gar keine Reue fühlen.
Dann wurden die Gedärme gar
wohl im Kanal gefunden.
Man denke sich den großen Schreck,
den man da hat empfunden.
Die Menschheit strömt auf die Bastei,
um diesen Ort zu sehen,
wo diese Tat von einem Mann
erst unlängst ist geschehen.
Unglaublich ist, dass mancher Mensch
sich kann soweit verirrren,
dazu gehört ein Tigerherz,
um sowas auszuführen.
Das kommt daher, wenn stets der Mensch
im Leichtsinn dahin schwebet.
Auch Gott vergisst als Freigeist nur
auf dieser Erde lebet.
Darum soll stets ein jeder Mensch
gerecht und edel handeln.
So kann er dann auf dieser Welt
vergnügt durchs Leben wandeln.
Im Kontrast dazu:
Friedrich Spee von Langenfeld (1591 - 1635)
Das Vatter Vnser poetisch auffgesetzt.
Eingang.
Ach Vatter hoch entwohnet,
Ob allen Lufften weit,
Aldà dir Sonn, vnd Monet
Gar tieff zun Füssen leit:
Nim an von mir geringen,
Ja nim die Seufftzer an,
So Mir von hertzen dringen,
Durch läre wolckenbaan.
Die 1. Bitt.
Ach wurd nur stäts gepriesen
Nur dein so schöner Nam,
Wan späth sich hatt gewiesen
Der Nächtlich Sternenkraam!
Wan früh dan auch erschienen
Der Täglich glantz, vnd glast,
Vnd vns mitt frewden dienen
Sonn, Mon ohn ruh, vnd rast.
Dich alle Stund, vnd Vhren,
Ich wölt von hertzen mein,
All deine Creaturen
Recht lobten in gemein,
O Gott laß Dir zun Ehren
Erd, Himmel springen auff,
Wil ia mich nitt beschweren
Jchs mitt dem Halß erkauff.
Die 2. Bitt
Nun stincket mir auff Erden
Die Welt, vnd weltlich pracht:
Nach Wagen, Gutsch, und Pferden,
Gold, gelt nitt geitzig tracht.
Ach nur das Reich dort oben,
Die runde Tempel dein
Vns raum doch vnverschoben
Nach disem leben ein.
Die 3. Bitt.
Weil vnderdeß wir niessen
Den süssen Sonnenschein,
Wölt Ich wir nie verliessen
Den minsten willen dein:
Gar offt ich wunsch von hertzen,
Gestrenger Herr, vnd Gott,
Nie keiner wöl verschertzen
Auff Erden dein gebott.
Die 4. Bitt.
Dich auch wir weiters bitten
Vmb Nahrung, Speiß, vnd Brot,
Daß ie doch bleib vermitten
Die saure Taffelnoth.
Auß deiner hand ia prasset
Die Nackend Rabenzucht,
Vnd weiß, auff dich gepasset,
Von keiner Mangelsucht.
Die 5. Bitt.
Nitt ruck zu Sinn mitt grimmen
Die Sünd, vnd Sündenschuld;
Vns mach in zähren schwimmen,
Hab wenig noch gedult.
O Gott, so Du mitt augen
Die Sünd wölt schawen an,
Wurd gar für Vns nitt taugen,
Nie köndten wir bestahn.
Die 6. Bitt.
Das Fleisch mitt süssen pfeilen
Vns trifft in süssem blick:
Die Welt von Seyden Sailen
Vns macht gar sanffte Strick:
Der Satan vns mitt Ehren,
Mit Cron, vnd Scepter lad:
Versuchung thut sich mehren:
Hilff, hilff, gib rath, vnd that.
Die 7. Bitt.
Ja milt, vnd frommer Vatter,
Ja Vatter, Vatter fromm
Der Hellisch Drach, vnd Natter
Schaff nie zun kräfften komm.
Vor seinem Gifft, vnd Flammen,
Vor Seel- vnd Leibsgefahr,
Erhalt uns allesammen
Ohn Vbel immerdar.
Geister-/ Schauerballade (s. o.)
Eduard Mörike (1804 -1875)!
Die Geister am Mummelsee (1828)
Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spät
Mit Fackeln so prächtig herunter?
Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?
Mir klingen die Lieder so munter.
O nein!
So sage, was mag es wohl sein?
Das, was du da siehest, ist Totengeleit,
Und was du da hörest sind Klagen.
Dem König, dem Zauberer, gilt es zuleid.
Sie bringen ihn wieder getragen.
O weh!
So sind es die Geister vom See!
Sie schweben herunter ins Mummelseetal ----
Sie haben den See schon betreten ----
Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal ----
Sie schwirren in leisen Gebeten ---
O schau,
Am Sarge die glänzende Frau!
Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor;
Gib acht, nun tauchen sie nieder!
Es schwankt eine lebende Treppe hervor,
Und ---- drunten schon summen die Lieder.
Hörst du?
Sie singen ihn unten zur Ruh.
Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glühn!
Sie spielen in grünendem Feuer;
Es geisten die Nebel am Ufer dahin,
Zum Meere verzieht sich der Weiher ----
Nur still!
Ob dort sich nichts rühren will?
Es zuckt in der Mitten --- o Himmel! ach hilf!
Nun kommen sie wieder, sie kommen!
Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;
Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, sie haschen mich schon!
Erzählgedicht (s.o. 3 b)
Rainer Maria Rilke ( 1875 - 1926)
Rast auf der Flucht in Ägypten
DIESE, die noch eben atemlos
flohen mitten aus dem Kindermorden:
o wie waren sie unmerklich groß
über ihrer Wanderschaft geworden.
Kaum noch daß im scheuen Rückwärtsschauen
ihres Schreckens Not zergangen war,
und schon brachten sie auf ihrem grauen
Maultier ganze Städte in Gefahr;
denn so wie sie, klein im großen Land,
-fast ein Nichts -den starken Tempeln nahten,
platzten alle Götzen wie verraten
und verloren völlig den Verstand.
Ist es denkbar, daß von ihrem Gange
alles so verzweifelt sich erbost?
und sie wurden vor sich selber bange,
nur das Kind war namenlos getrost.
Immerhin, sie mußten sich darüber
eine Weile setzen. Doch da ging
sieh: der Baum, der still sie überhing,
wie ein Dienender zu ihnen über:
er verneigte sich. Derselbe Baum,
dessen Kränze toten Pharaonen
für das Ewige die Stirnen schonen,
neigte sich. Er fühlte neue Kronen blühen.
Und sie saßen wie im Traum.
(1912)
Erich Adler (* 1944)
Erzählgedicht, erprobte Nähe
Dinggedicht
Eduard Mörike (1804 -1875)!
Auf eine Lampe
Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,
An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,
Die Decke des nun fast vergessenen Lustgemachs.
Auf deiner weißen Marmorschale, deren Rand
Der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,
Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelrein.
Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter Geist
Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form --
Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?
Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.
Romanze
Heinrich Heine (1797 - 1856)
Klagelied
eines altdeutschen Jünglings
Wohl dem, dem noch die Tugend lacht,
Weh dem, der sie verlieret!
Es haben mich armen Jüngling
Die bösen Gesellen verführet.
Sie haben mich um mein Geld gebracht
Mit Karten und mit Knöcheln;
Es trösten mich die Mädchen
Mit ihrem holden Lächeln.
Und als sie mich ganz besoffen gemacht
Und meine Klieder zerrissen,
Da ward ich armer Jüngling
Zu Tür herausgeschmissen.
Und als ich des Morgens früh erwacht
Wie wund’r ich mich über die Sache!
Da saß ich armer Jüngling
Zu Kassel auf der Wache.
Hugo von Hofmannsthal
In der ärmsten kleinen Geige liegt die Harmonie des Alls verborgen,
Liegt ekstatisch tiefstes Stöhnen, Jauchzen süßen Schalls verborgen;
In dem Stein am Wege liegt der Funke, der die Welt entzündet,
Liegt die Wucht des fürchterlichen, blitzesgleichen Pralls verborgen.
In dem Wort, dem abgegriffnen, liegt was mancher sinnend suchet:
Eine Wahrheit, mit der Klarheit leuchtenden Kristalls verborgen ...
Lockt die Töne, sticht die Wahrheit, werft den Stein mit Riesenkräften!
Unsern Blicken ist Vollkommnes seit dem Tag des Sündenfalls verborgen.
Georg Trakl
Rondel
Verflossen ist das Gold der Tage,
Des Abends braun und blaue Farben:
Des Hirten sanfte Flöten starben
Des Abends braun und blaue Farben
Verflossen ist das Gold der Tage.
*
Let me not to the marriage of true minds
Admit impediments: love is not love
Which alters when it alteration finds,
Or bends with the remover to remove.
Oh no! it is an ever-fixèd mark
That looks on tempests and is never shaken;
It is the star to every wandering bark,
Whose worth's unknown although his height be taken.
Love's not Time's fool, though rosy lips and cheeks
Within his bending sickle's compass come;
Love alters not with his brief hours and weeks,
But bears it out even to the edge of doom.
If this be error and upon me prov'd,
I never writ, nor no man ever lov'd.
Dem festen Bund getreuer Herzen soll
Kein Hindernis erstehn: Lieb' ist nicht Liebe,
Die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll,
Unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.
Ein Zeichen ist sie fest und unverrückt,
Das unbewegt auf Sturm und Wellen schaut,
Der Stern, zu dem der irre Schiffer blickt,
Des Wert sich keinem Höhenmaß vertraut.
Kein Narr der Zeit ist Liebe! Ob gebrochen
Der Jugend Blüte fällt im Sensenschlag,
Die Liebe wankt mit Stunden nicht und Wochen,
Nein, dauert aus bis zu dem Jüngsten Tag!
Kann dies als Irrtum mir gedeutet werden,
So schrieb ich nie, ward nie geliebt auf Erden!
Ü: Max Josef Wolff
MEin oft bestürmbtes Schiff der grimmen Winde Spil
Der frechen Wellen Baal/ das schir die Flutt getrennet/
Das über Klip auff Klip’/ und Schaum/ und Sandt gerennet.
Komt vor der Zeit an Port/ den meine Seele wil.
Offt/ wenn uns schwarzte Nacht im Mittag überfil
Hat de geschwinde Plitz die Seele schir verbrennet!
Wie oft hab ich den Wind/ und Nord’ und Sud verkennet!
Wie schadhaft ist Spriet*/Mast/ Steur/ Ruder/ Schwerdt und Kill.
Steig aus du müder Geist/ steig aus/ wir sind am Lande!
Was graut dir für dem Port/ itzt wirst du aller Bande
Vnd Angst/ und herber Pein/ und schwerer Schmertzen loß.
Ade/ verfluchte Welt: du See voll rauer Stürme!
Glück zu mein Vaterland/ das stette Ruh’ im Schirme
Vnd Schutz und Friden hält/ du ewig-lichtes Schloß!
Reinhold Schneider (1903 - 1958) Allein den Betern (kann es noch gelingen)
Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)
Die Beiden (1896)
Sie trug den Becher in der Hand
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand-,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, dass es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Dass keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.
(Hofmannsthals Sonett findet man gelegentlich auch mit Leerzeile zwischen den Terzetten.)
Ernst Jandl (1925 – 2000) sonett (das a das e das i das o das u)
Robert Gernhardt (1937 - 2006 ) Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform
italienischen Ursprungs ( Sonette find ich sowas von beschissen)
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