Sprache als Thema von Gedichten
Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)
Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!
Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster;
Und so sieht‘ s auch der Herr Philister:
Der mag denn wohl verdrießlich sein
Und lebenslang verdrießlich bleiben.
Kommt aber nur einmal herein!
Begrüßt die heilige Kapelle;
Da ist’s auf einmal farbig helle,
Geschicht‘ und Zierat glänzt in Schnelle,
Bedeutend wirkt ein edler Schein;
Dies wird euch Kindern Gottes taugen,
Erbaut euch und ergetzt die Augen!
Novalis (Friedrich von Hardenberg) (1772 - 1801)
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben,
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)
Wünschelrute
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
(1835)
Franz Grillparzer (1791 – 1872)
Sprachenkampf
Zu Äsops Zeiten sprachen die Tiere,
Die Bildung der Menschen ward so die ihre,
Da fiel ihnen aber mit einmal ein,
Die Stammesart sollte das Höchste sein.
„Ich will wieder brummen“, sprach der Bär,
Zu heulen war des Wolfs Begehr,
„Mich lüstets zu blöken“, sagte das Schaf,
Nur einer der bellt schien dem Hunde brav.
Da wurden allmählich sie wieder Tiere
Und ihre Bildung der Bestien ihre.
(1849)
Hugo von Hofmannsthal ( 1874 - 1929)
Dichter sprechen:
Nicht zu der Sonnen frühen Reise,
Nicht wenn die Abendwolken landen,
Euch Kindern, weder laut noch leise,
Ja, kaum uns selber seis gestanden,
Auf welch geheimnisvolle Weise
Dem Leben wir den Traum entwanden
Und ihn mit Weingewinden leise
An unsres Gartens Brunnen banden.
*
Eva Zeller © (* 1923)
Meine Rechtschreibreform
DENKICHANDEUTSCHLAND
wer hat solche Nacht-
gedanken gevierteilt
sie gehören zusammen
mit gleicher Betonung
auf allen fünf Silben
ein Sprengsatz der
tacheles redet und mich
um den Schlaf bringt
Manchen Versen sind
Flügel gewachsen
und auf und davon
ÜBERALLENGIPFELN
da spürest du kaum
daß da einmal drei
Worte gestanden haben
auf der Holzwand
in Ilsenburg
INEINEMKÜHLENGRUNDE
ach allen Alleinge-
lassenen die an ge-
brochenem Herzen beinahe
sterben aus der Seele
gesprochen sie pochen
auf Ringe aus purem
Gold doch wehe die
springen entzwei dann
würden die Liebenden
lieber in blutige
Schlachten ziehn
Für mein Ohr bleibt auch
ESISTEIN ROSENTSPRUNGEN
ineinander verflochten
allerschönstes aus der
Konkursmasse Sprache das
Dornen zum Blühen bringt
wir haben es noch gesungen
bevor wir mitten im kalten
Winter lostrecken mussten
der Atem fror vor unseren
Mündern die Worte waren
zu sehn und blieben ein
Leben lang stehn
aus: Eva Zeller, Was mich betrifft. Gedichte und Balladen. Literarische Broschur Bd. 18
Verlag Sankt Michaelsbund. München 2011, S. 113f. - Für die Abdruckerlaubnis vom 26. 08. 2011 der Autorin herzlich gedankt.
Eva Zeller © (* 1923)
Das Wörtlein
Es soll auf unserm Erdenrund
über dreitausend geschriebene
und fast zweitausend nur
gesprochene Sprachen geben
Eine davon die Mutter-
die Vater- die Unsersprache
geschrieben gesprochen
nicht zu vergessen gesungen
darüberhinaus an
verschiebbaren Perlen entlang
geflüstert kaum daß man dabei
die Lippen bewegt
als habe man sich des alt-
gewordenen Vokabulars zu schämen
das sich nicht plaudern lässt
Selbst dem geringsten
unter den Worten
das sich klein gemacht hat
zum Wörtlein
hört man seine Herkunft noch an
Das kann fällen
das Wörtlein
den altbösen Feind
Der will uns um
unsere Sprache bringen
die tonlos gemurmelte
und uns gar verschlingen
Wir können ein Lied davon singen
aus: Eva Zeller, Das unverschämte Glück, Neue Gedichte Radius Verlag Stuttgart 2006, S. 19
Dagmar Nick (* 1926)
Wörter
Wörter, wie ungewichtig
seid ihr geworden, in den Schatten
gestellt von Erinnerungen,
Gedanken, die landen wie Vögel mit
lichtgefächerten Schwingen,
wortlos und buchstabenscheu.
Gelegentlich kreuzen sie auch
den Weg einer Montgolfiere
und überleben unbeschadet
das übererregte Feuer, die Seile,
den Krach.
*
Dagmar Nick (* 1926)
Aphasie
Die Fliehkraft der Worte,
die ich für meine Besitztümer hielt.
Von meinem Ansitz aus schaue
ich ihnen nach, wie sie davonzwergeln
in verschüttete Bodensätze, wo
kein Schuß sie mehr aufscheucht,
geschweige denn trifft, sehe
die Lücken, die sie so unverschämt
gleichgültig hinterlassen, versuche,
versuche ein Muster darin
zu erspähen, eine Silbenspur
oder wenigstens ein zerscherbeltes
Echo.
Anm.:
Aphasie = (med.) Verlust des Sprechvermögens oder Sprachverständnisses; (phil.os.)
Zurückhaltung in der Beurteilung unsicherer Dinge
Beide Gedichte veröffentlicht unter D.N. „Schattengespräche“ im Rimbaud Verlag 2008,
Der Autorin herzlich gedankt für die Abdruckerlaubnis, 22.02.2010
Maximilian Zander (1929 - 2016)
Vorübergehend geöffnet
Komm herein
ins Gedicht, geh die Zeilen entlang,
schön langsam. Man rechnet hier
mit deinem Sprachvermögen.
Wenn du jetzt gleich nach links
einschwenkst, kommt dir vielleicht
ein Fasan entgegen
oder Lenin, auf einem Lastwagen,
wahrscheinlich nachts.
Nun laß uns eine Weile
vor diesem schönen WORT
Platz nehmen. Sitzt da nicht
eine Meise im T-Träger, zwitschert
dreimal, und das Auge des Dichters
blinzelt durchs O? Was ist das
GEDICHT: ERKENNTNISFRAGMENT
ODER WELTGEFÜHL?
Mach dir selbst einen Vers drauf,
ich muß in die Stadt. Ganz recht,
von hier aus geht's direkt
ZUM AUSGANG.
Die in Kapitälchen gesetzten Partikeln stammen aus Texten von Kate Hamburger, Kurt Schwitters und
Michael Krüger. *
aus: Maximilian Zander, Antrobus’ Tagebuch. Gedichte. Edition YE Bd. 7, Sistig /Eifel 2004 -
Dem Autor einen herzlichen Dank für die Abdruckerlaubnis, Mai 2010.
Maximilian Zander verstarb am 21. 11. 2016, RIP.
Günter Kunert (1929 - 2019)
Poetologie letzter Hand
Auf dem Grund der Gedichte
ruht alles Unsagbare.
An die Oberfläche gezwungen
löst es sich auf
in Vokabular.
*
(aus: Gottesgedichte. Ein Lesebuch zur deutschen Lyrik nach 1945. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Helmut Zwanger und Karl-Josef Kuschel. Tübingen 2011, S. 79, Verlag Klöpfer & Meyer)
Dem Autor Günter Kunert ein sehr herzliches Dankeschön für seine rasche Antwort vom 12. 08. 2012 und sein Einverständnis mit dem Abdruck hier. - Der Dichter verstarb am 21. 09. 2019. R.I.P.
Peter Härtling (1933 - 2017)
Sätze vor dem Gedicht
Ich rufe die Wörter
zusammen,
sie haben
kein Fell, kein Gefieder,
sie haben, wenn
sie sich im Rudel drängen
und auf mich warten,
nur eine dünne Haut,
die reißt und sie
bloßstellt,
sobald ich ungeduldig werde
und sie nicht streichle
mit meiner Stimme.
(aus: P. H., Die Mörsinger Pappel. Gedichte. Luchterhand Verlag Darmstadt und Neuwied 1987 S. 63)
*
Peter Härtling (1933 - 2017)
Die neuesten Botschaften krümmen sich auf der Fensterbank –
wie böse Zungen, schwarzgeädert, rollen sie sich ein.
Es könnten, vor dem Ersticken, lauter letzte Sätze werden:
eine Kette verwüsteter Verse, vergessener Wörter.
Ein Dichter schrieb mir auf die Stirn, es ist ein Leben her:
„La tristesse rembourse“. Es könnte heißen: Depression zahlt sich aus.
Ich warte, bis einer das ungeschriebene Buch
aus: Peter Härtling, Fenstergedichte. Radius Verlag, Stuttgart 2007, S. 55
Albert von Schirnding (* 1935)
Sprache
Bleibt die andere
schönere ältere
Schwester
Mit Botschaften
stündlich
kürzeren Atems
schick ich sie
hinter dir her
Reime wie Strafzettel
steckt sie dir
hinter den Scheibenwischer
Wortspiele wirft sie
mit der Zeitung
durch deine Tür
Ich rufe Hilfe Du
findest das
ausdrucksstark
Ich sage Hoffnung
sage Verzweiflung Du
bewunderst Metaphern
Ich schreibe Tod Du
nickst: Ein schönes
Gedicht
*
aus: Albert von Schirnding: Übergabe. Achtzig Gedichte. Ebenhausen b. München 2005, S. 3
Langewiesche-Brandt KG
Albert von Schirnding (* 1935)
Dichterlesung
Am Mikrophon
der Lyriker
Poeta doctus Ein Wort
gibt das andere
Gekonnte Verse
zu Zyklen gebündelt
Das Gedicht
blieb draußen wo
vor der Fensterwand
der Juniwind mit dem Laub
der Pappeln spielt
Ein anderer Rhythmus eine
andere Art von
Wiederkehr: deine Hand
in meinem Haar
*
aus: A. von Schirnding, War ich da? Gedichte, Edition Toni Pongratz,Hauzenberg 2010, S. 26
Dem Autor für die spontane Antwort vom 16. 02. 2012 und sein großzügiges Einverständnis mit einer
Gedichteauswahl für einen Abdruck hier meinen ganz herzlichen Dank. (Ad)
Jürgen Becker (* 1932)
Vom Wandern der Gedanken übers Papier
1
anfangen mit nichts
aber da sind doch, es gibt
die Blitze und Bilder im Kopf
die Erregung in Gedanken
den Ausbruch der Träume
das Land der Schmerzen und der Wut
Häuser voll Trauer und andere
mit Glanz oder eingerichtet im Glück
die Unruhe zwischen uns
Brücken der Zärtlichkeit
Nester des Mißtrauens
da sind, es gibt
die Wörter und Stimmen
anfangen mit etwas
2
eine Fläche, die leer ist
in der Vorstellung etwa ein riesiges Schneefeld
weiß und leer
bis ein Schwarm krächzender Vögel
über dem Feld kreist und niedergeht
und rauschend wieder davonfliegt
bis ein Zug grauer Figuren
von den dunklen Rändern her kommt
und über den Schnee zieht
steht wartet und weiter zieht schweigend
eine Fläche, die leer war
ein Feld voller Spuren
ein System, das von seiner Veränderung erzählt
und die Erinnerung an die Ereignisse vorzeigt
an die Vergänglichkeit der Ruhe
die Möglichkeiten nach einem Frieden
3
erzähl mir, was weißt du
ja ich erzähle so lange ich lebe
aber die Stimme wandert und fliegt nicht
bleibt im Zimmer im Haus
vielleicht hört noch der Nachbar
im offenen Fenster und versteht
eine Geschichte aus der Umgebung
die Stimme wird älter
heiser und leise
stirbt eines Tages
und nichts mehr hörst du
außer den Bäumen über dem Grab
erzähl mir, was bleibt vom Erzählten
4
wohin mit den Wörtern
pausenlos das Gesprochene verschwindet in der. Luft
der Wind nimmt Grammatik und Syntax auf
der Zug der Wolken verwischt
zwischen Westen und Osten den Satzbau
im Regen kommt wieder
zurück das Geräusch vieler Sprachen
der Hagel erinnert an die Rede im Zorn
weiterhin bleibt der Schnee was er ist
ein Bote aus den Gebirgen
wohin mit den Wörtern und wo
bleibt die Sammlung der Zeichen
zum Wiederfinden, Wiedererkennen der Sprache
zum Austausch der Sätze
Fische und Vögel
und alle Tiere fragen so nicht
5
weiterlebend
mit den Vorräten der Erfahrung
was dachten und was taten wir
was war geschehen
was gab es zu lernen
nutzlos wäre die Stummheit der Geschichte
ein folgenloses Geschäft
ohne die Weitergabe der Schrift
die Wiedergabe der Berichte
bis jetzt ist lesbar geblieben
die Fortsetzung des Möglichen
des Unglücks und der Versprechungen
des Unerreichten und der Wünsche
so verliert das Vergangene
seine Dunkelheit
den unerklärbaren Schrecken
die Rätsel vom Entstehen der Angst
so leben die Hoffnungen weiter
6
andere Orte, andere Tage
die Entfernungen zwischen dir und mir
zwischen uns
das Fremde und die Freundschaft
das Vergebliche und das Erinnern
ich schreibe dir auf
was mir fehlt, was ich wünsche
du liest
was du kennst und was du nicht hast
und was dich erwartet
unterwegs trägst du mit dir
den Brief, das Gedicht
im Dunkel leuchtet weiß ein Blatt
später ein Licht im Gedächtnis
7
früher die stummen Erzählungen
Abdrücke im Gestein
Zeichnungen an den Wänden
Häufungen von Asche
Anordnungen der Trümmer
Architektur der Spuren und Reste
als Vorarbeiter des Vergessens
kam der Wind
geduldig sprengte der Frost
weg wusch der Regen die Epochen des Staubs
zurück kam die Erde
die Zukunft der Büsche und Bäume
die Jahreszeiten brauchten nichts anderes
ein Blühen ein Welken
ein Zustand ohne die Kämpfe der Sprachen
8
benennbar sind die Zeiten geworden
beschreibbar die Gegenden
dort ein anderes Land
hier eine vertraute Umgebung
im Wechsel von Tälern und Hügeln
zeigen kann ich dir
die Reste von Heimat und Kindheit
den Fortschritt der neuen Zerstörung
die Möglichkeiten des Alterns
lesbar sind alte und neue Namen
die Namen verschwundener Dörfer
ausgestorbener Familien
stillgelegter Fabriken
die Namen der Bäche und der Leute
in alten Mühlen
die Namen versprochener Zukunft
9
Zeilen über einem Wasserzeichen
Wörter und Sätze
Veränderungen auf weißen Flächen
so setzen Gedanken die Wanderung fort
prägen sich weiter Bestimmungen ein
rettet sich das Gedächtnis
treten Bilder hervor aus dem Dunkel
blitzt Widerspruch auf
bleibt erkennbar das Diktat der Träume
das Entstehen der Wünsche
wird die Unruhe weiter beweisbar
verstehst du die Wirkung der Schrift
lebst weiter und läßt hinter dir-täglich
die Grenzen des Schweigens
*
aus: Jürgen Becker, 1965 – 1980, Suhrkamp Taschenbuch Verlag TB 690, 1981, S. 345 – 349
darin: Die gemachten Geräusche. Gedichte entstanden zwischen 1974 – 1980
Jürgen Becker (* 1932)
Nochmals
Vorbereitungen für das, was sich hinzieht und hinzieht
bis zu einem Start, der ganz lautlos erfolgen wird.
Niemand merkt was. Es macht eben kein
Geräusch, wenn Spuren entstehn auf einem Feld
der unsichtbaren Entwürfe.
Zuviel schon verraten. Sofort und später
eine ewige Sucherei, und meistens wird etwas
entdeckt, das Falsche.
Falls Zweifel erlaubt sind. Oder ein Apparat
mit Gedächtnis.
Längst hat es aufgehört, und es hat sich
das Gras aufgerichtet bis abends.
*
aus: Jürgen Becker, Foxtrott im Erfurter Stadion. Suhrkamp Verlag Frankfurt 1993, S. 8
Dem Autor und Büchner-Preisträger 2014 Jürgen Becker ein herzliches Dankeschön für seinen
aufmunternden Brief vom 19. 06. 14 und die Genehmigung der Veröffentlichung der Gedichte auf
meiner Web-Seite:
aus: Monika Taubitz, Im Zug - nebenbei, Gedichte von unterwegs.
Dresden 2011, Neisse Verlag, S. 18
Doris Runge (*1943)
papierkörbe leeren
briefkästen
ordnung schaffen
haare kämmen
nägel schneiden
plötzlich
ein sphärenton
ein singen
im stahl
und aufgewirbelter
staub
wie schwebend
wie zuverlässig
wie alltäglich
er unter uns ist
*
(aus: Doris Runge, du also. Gedichte, DVA München, 2003 S. 56)
Der Autorin für die Abdruckerlaubnis vom 03. 04. 2017 ganz herzlichen Dank.
Joachim Fuhrmann ( * 1948)
Begegnung mit Sprache
1.
ei ei ei ei
oh oh oh oh
eh eh eh eh
ja wo isser denn
du du du du
ja ja ja ja
was macht denn
unser schnutzi
killekillekille
oh
2.
jetzt wolln wir
happa happa machn
nun müssen wir
bäuerchen machn
jetzt wolln wir
a a machn
das is bä bä
nun da da gehn
und nun is nuch
3.
tu das tu dies
mach das mach dies
laß das laß dies
wie oft soll ich dir
noch erklärn
kannst du nich hörn
willst wohl nich
dann wolln wir mal
eine andre sprache
sprechn
Joachim Fuhrmann ( * 1948)
Ich schreibe ein Gedicht:
Zwischen den Versen
rufe ich die Auskunft an
und setze Wasser auf
für den Abwasch.
*
aus:
Trotzdem läuft alles, Texte Joachim Fuhrmann & Bilder Manfred Pixa neue presse , Hamburg 6, 1975,
S. 17 / 21 Dem Autor ein herzliches Dankeschön für die Abdruckerlaubnis, 16. 03. 2010
*
Theo Breuer (* 1956)
montage 7 – orpheuskraft
das weite suchen
dein gedicht mein augensee
himmel + hölle
klischees verbraten
stecknadel im heuhaufen
sinn eines lebens
kavalier der welt
der du nicht verloren bist
ich besinge dich
*
Theo Breuer (* 1956)
montage 8 - der metaphernstammler
wortschatz wächst dir zu –
(ergriffensein beim schöpfen!)
du weißt nicht woher?
schmerzhieroglyphen
(!glück + gut daß keiner weiß –
denk: dein derbes herz!)
mutterseelenallein.
bekümmert wie franz kafka.
hinüberfließangst. - - -
wörternaturrein
augenblickspurzelbäume
gedichtsprach: leere
*
frieren
für Karl-Friedrich Hacker,
ohne dessen edition bauwagen es WÖRTER SIND WIND IN WOLKEN und die folgenden handgeschriebenen Künstlerbücher nicht gäbe
aus: Theo Breuer, Land Stadt Flucht. Gedichte, Edition YE Sistig/ Eifel 2002
Dem Autor für die Abdruckerlaubnis herzlichen Dank - Mai 2010.
Alfred Zoppelt (* 1954)
Vollgas
Alle Artisten, die jemals
übers Seil der Sprache gingen,
schauen mir über die Schulter,
wenn ich die Schreibmaschine
wie ein Lenkrad packe
und mit Vollgas
durch den Wald der Wörter fahre,
Hals über Kopf
zu den Schwänen der Poesie.
*
Dem Autor ein Dankeschön für seinen Beitrag; Wien Sept. 2010
kein copyright:
Bertolt Brecht (1898 – 1956)
Auf einen Chinesischen Teewurzellöwen
(Die Schlechten fürchten deine Klaue)
Schlechte Zeiten für Lyrik
(Ich weiß doch: nur der Glückliche/ Ist beliebt. )
Gottfried Benn (1886 – 1956)
Ein Wort (Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen)
Rose Ausländer ( 1901 - 1988 )
Die Märchen (Hinter dem Himmel/ schlafen die Märchen)
Günter Eich (1907 – 1972)
Die Häherfeder (Ich bin, wo der Eichelhäher)
Tage mit Hähern (Der Häher wirft mir/ die blaue Feder
nicht zu)
Hilde Domin (1909 - 2006)
Das Gefieder der Sprache (streicheln)
Der große Luftzug (Das Wort neben mir)
Linguistik (Du musst mit dem Obstbaum reden)
Losgelöst (treibt ein Wort)
Lyrik (das Nichtwort)
Karl Krolow (1915 - 1999)
Rechtschreibung (Ohnehin kann dir/ da niemand helfe -)
Schreiben (Papier, auf dem sich/ leichter Wind niederläßt)
Worte ( Einfalt erfundener Worte)
Hans Bender (1919 - 2015) Verwunderung (Irgendetwas will in dir)
Paul Celan (1920 – 1970)
Ein Dröhnen (: es ist die Wahrheit selbst)
Mit wechselndem Schlüssel (schließt du das Haus auf)
Sprachgitter (Augenrund zwischen den Stäben)
Günter Kunert (* 1929)
Eine Poetik (Das wahre Gedicht/ löscht sich selber aus)
Ernst Jandl (1925 – 2000) fortschreitende räude
(him hanfang war das wort hund das wort war bei)
ode auf N (lepn/nepl)
Hans M. Enzensberger ( * 1929)
Altes Medium (Was Sie vor Augen haben/ meine Damen und Herren)
Horst Bienek (1930 –1990) Worte (meine Fallschirme)
Reiner Kunze (* 1933) Dichter im Exil (An ihren sohlen haftet)
Selbstgespräch für Andere (Nichts hat das gedicht gemein)
Albert von Schirnding (* 1935)
Sprache (Bleibt die andere)
Zurück (Einen eigenen Ton finden)
Rainer Malkowski (1939 – 2003) Selbstauskünfte (Viel gesprochen heute abend.)
Peter Handke (* 1942)
Die Besitzverhältnisse
(Mit dem Wort ICH fangen schon die Schwierigkeiten an.)
Axel Kutsch (* 1945) Wohlwollendes Gedicht (Hier spricht dein Gedicht)
Gang durch ein Gedicht (Treten Sie ein./ Genieren Sie sich nicht.)
*
Erich Adler ©
Gespräch über Gedichte
Wir sitzen am Tisch
schauen in den Garten auf
die entblößten Ringe der gefällten
Lärche
Beim Blick in den Himmel
ein Wort über Schweres und Leichtes
aller Gedichte - so
fährt der Wald am Horizont
unter den Wolken entlang beleuchtet
mit Sonnenrand
Gedanken an Ortswechsel der Lebenden und Toten
all das im Angesicht der schon gänzlich
vom Feuer entzauberten
Eiche.
Erich Adler
Zweierlei Sichtweisen
Um seine Augen mache
der alte Dichter sich Sorgen
nur noch verzerrt erscheine seit kurzem
die Schrift
Ungebrochen aber
schauen grüne vier Zeilen mir unbekümmert
ins Herz.
In memoriam Hans Bender (+ 2015)
erschienen in der von Axel Kutsch herausgegebenen Gedichtsammlung Versnetze _neun
Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2016 S, 185
|