“... Lesen schadet den Augen! ”

 

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        Theodor Fontane (1819 – 1898)

        Herbstmorgen

         

        Die Wolken ziehn, wie Trauergäste,

        Den Mond still-abwärts zu geleiten,

        Der Wind durchfegt die starren Äste

        Und sucht ein Blatt aus bessren Zeiten.

         

        Schon flattern in der Luft die Raben,

        Des Winters unheilvolle Boten;

        Bald wird er tief in Schnee begraben

        Die Erde, seinen großen Toten.

         

        Ein Bach läuft hastig mir zur Seite;

        Es bangt ihn vor des Eises Ketten,

        Drum stürzt er fort und sucht das Weite,

        Als könnt ihm Flucht das Leben retten.

         

        Da mocht ich länger nicht inmitten

        So todesnaher Öde weilen;

        Es trieb mich fort, mit hastgen Schritten

        Dem flüchtgen Bache nachzueilen.

 

 

Die folgende Interpretation beschäftigt sich mit dem Gedicht „Herbstmorgen“ von Theodor Fontane. Die Kernaussage des lyrischen  Textes befasst sich damit, dass der Herbst sein kleiner Vorbote des großen, starken Winters ist, der die ganze Welt unter sich begraben wird und vor dem jeder - auch der Sprecher - wegzulaufen versucht.

Fontane lebte von 1819 – 1898 und ist somit in die Zeitepoche des Realismus einzuordnen. Auch fand zu dieser Zeit die Industrialisierung statt, mit der große Armut bei einfachen Arbeitern aufkam. 1     

Das Gedicht besteht aus vier Strophen à vier Versen. Das Versmaß setzt sich durchgängig aus vierhebigen Jamben mit einer überzähligen Senkung zusammen. Das Reimschema besteht ebenso gleichmäßig aus lauter Kreuzreimen. Auch die Zeilenlänge bleibt durchgängig identisch. Ebenso sind fortlaufend weibliche Kadenzen zu erkennen, Die Wörter, die Fontane verwendet, entstammen überwiegend dem Wortschatz der Natur und Jahreszeiten.2 Das Reinschema Kreuzreim unterstützt die Hervorhebung des Kampfes der Natur mit dem Winter. Die gleichmäßigen Kadenzen sowie das Versmaß unterstützen den bedrohlichen, unaufhaltsamen Vormarsch des Winters.

In der ersten Strophe schildert das lyrische Ich die momentane Situation der Natur. ES benutzt überwiegend Wörter mit trauriger Bedeutung (Trauergäste; still-abwärts; starre Äste). Auch wird eines der bekanntesten stilistischen Mittel, nämlich ein Vergleich eingesetzt: Die Wolken zieht wie Trauergäste.

Die Natur wird geschädigt, was auch Fontane (besser: den Sprecher des Gedichtes, Ad) sehr bedrückt.

Strophe zwei enthält die Vorboten des Winters (Metapher: Raben als Sinnbild für etwas Unheimliches.) Auch wirft  das lyrische Ich einen Blick in die Zukunft, wie der Schnee alles begraben und das Leben zur Qual machen wird (Z 7-8).

                                   Die dritte Strophe gibt das sinnlose Flüchten der Natur vor der Kälte wieder. Die emotionale Bindung zwischen lyrischem Ich und Natur nimmt zu, da das Ich die Ängste verstehen kann und sie auch empfindet. Dies wird in der Strophe vier besonders deutlich.  Hier erreicht meiner Meinung nach das emotionale Streben zwischen dem Sprecher und der Natur seinen Höhepunkt, da das lyrische Ich nun das Flüchten der Erde, insbesondere des Baches nachahmt. Er läuft ihm hinterher. Auch wird in der letzten Strophe die unheimliche Leere vor dem vernichtenden Wintereinbruch gezeigt.

        Die vierte Strophe kann man besonders gut mit dem Leben von uns Menschen vergleichen. Bricht bei uns der Winter ein, so versuchen viele Menschen ihre Sorgen mit Alkohol zu vernichten und in ihn zu flüchten.3  Dann geht es jedoch sprichwörtlich „den Bach runter“, welches sehr nachdrücklich  in der letzten Strophe geschildert wird.

 

Ich finde,  das Gedicht „Herbstmorgen“ ist ein besonders gelungenes seiner Art, was positiv aus der Masse der Herbstgedichte herausragt. Dies gelingt ihm vor allem dadurch, dass es nicht nur die unmittelbaren Folgen des Herbstes zeigt, sondern auch deutlich macht, dass es nach dem Herbst noch schlimmer wird und er eigentlich nur der Vorbote des grausigen Winters ist und die Natur vor diesem warnt, damit sie sich vorbereiten kann auf das, was sie in den nächsten Monaten zu erwarten hat. Auch regt das Gesicht sehr zum Nachdenken an, da es der Natur im Winter besser geht als uns und wir daher versuchen sollten, unsere Probleme anders zu lösen. 

Ich finde das Gedicht „Herbstmorgen“ sehr gelungen, da es die Beziehung    Natur – Mensch erst auf den zweiten Blick preisgibt und somit äußerst anspruchsvoll und schön ist.

 

                                              Torben Brill ©  -  GBE Kl. 9   -  11/ 2006

 

Lehrerkommentar:

1  Richtig, aber du müsstest hier prüfen, ob die geschichtlich korrekte Angabe zur Situation der

    Arbeiterarmut für die Interpretation des Naturgedichts  Hilfreiches leistet.

2.  Genau!  Und daher könntest du auch auf die gesellschaftskritische Angabe im Einleitungsteil verzichten.

3. Leider nur allzu wahr, was du hier sagst. Meine Leseempfehlung: das Gedicht „Winter. Umwelt“

    des hannoverschen Lyrikers Karl Krolow (1915 – 1999) und die  wunderhübschen Schlussverse:

                            Es schneit. Es ist Winter. (…)  Dein geographisches Schicksal ist dir bekannt.

                            Die deutsche Spirituose  hilft dir, die andern ertragen.

  Es hat Spaß gemacht, deine Arbeit zu korrigieren. Deine erste Interpretation in Kl. 9 ist  bereits sehr

  gelungen und vielversprechend. (Schreib mir mal ’ne  Mail, wenn du in der 13 angekommen bist.)  

      

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