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  Lesen schadet den Augen

 

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               Gedichtform Ballade (Erzählgedicht)

          Die deutsche Kunstballade wird oft auf drei Balladentypen hin gesichtet: 

 

    a) numinose Ballade (Schauerballade)

    b) Ideenballade/  (historische) Heldenballade

    c) Erzählgedicht als Sammelbegriff für den „Rest“:

 

    - sozialkritisch-politische Thematik

        H. Heine: Die schlesischen Weber     (s. Motivkreis Zorn)

    - humoristische Variante  

        Christian F. Gellert : Der Bauer und sein Sohn

         Johann W. v. Goethe: Hochzeitslied

         Ernst M. Arndt: Ballade

         August Kopisch: Die Heinzelmännchen

        Johann Spratte: Ballade vom Suppenkraut

    - Dinggedicht

      B. v. Münchhausen: Lederhosen-Saga

      Johann Spratte: Dat aole Beld  - Die alte Spieluhr - Das Chapeauclaque

    - Moritat, Bänkellied, Song: 

      Frank Wedekind: Brigitte B.

      Bert  Brecht: Ballade von den Seeräubern; Kinderkreuzzug

      Christa Reinig: Ballade vom  blutigen Bomme

      Wolf Biermann: Ballade auf den Dichter Francois Villon;;   

                             Die Buckower Balladen

       

            Beispiele:

             

      Arno Holz (1863 – 1929)

      Een Boot is noch buten!“

      “Ahoi! Klaas Nicken und Peter Jehann!

      Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!

      Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?

      Gottlob, dat wi wedder to Hus sind!«

      Die Fischer riefens und stießen ans Land

      Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,

      Denn dumpf an rollten die Fluten;

      Hans Jochen aber rechnete nach

      Und schüttelte finster sein Haupt und sprach:

      »Een Boot is noch buten!«

       

      Und ernster keuchte die braune Schar

      Dem Dorf zu über die Dünen;

      Schon grüßten von fern mit zerwehtem Haar

      Die Fraun an den Gräbern der Hünen.

      Und »Korl!« hieß es und »Leiw Marie!«

      »'t is doch man schön, datji wedder hie!«

      Dumpf an rollten die Fluten -

      »Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!«

      Und Jochen wies in die brüllende See:

      »Een Boot is noch buten!«

       

      Am Ufer dräute der Möwenstein,

      Drauf stand ein verrufnes Gemäuer,

      Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein

      Und gössen Öl in das Feuer.

      Das leuchtete weit in die Nacht hinaus

      Und sollte rufen: 0 komm nach Haus!

      Dumpf an rollten die Fluten -

      Hier steht dein Weib in Nacht und Wind

      Und jammert laut und küßt dein Kind:

      »Een Boot is noch buten!«

       

      Doch die Nacht verrann, und die See ward still,

      Und die Sonne schien in die Flammen,

      Da schluchzte die Ärmste: »As Gott will!«

      Und bewußtlos brach sie zusammen!

      Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,

      Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett,

      Und draußen plätschern die Fluten;

      Dort spielt ihr Kind, ihr »lütting Jehann«,

      Und lallt wie träumend dann und wann:

      »Een Boot is noch buten!«

       

          *

      Detlev von Liliencron (1844 – 1909)

      Pidder Lüng

            »Frii es de Feskfang,

            frii es de Jaght, 

            frii es de Strönthgang,

             frii es de Naght,

            frii es de See, de wilde See

             en de Hömemmer Rhee.«

       

      Der Amtmann von Tondem, Henning Pogwisch,

      Schlägt mit der Faust auf den Eichentisch:

      »Heut fahr ich selbst hinüber nach Sylt

      Und hol mir mit eigner Hand Zins und Gült.

      Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen,

      Sollen sie Nasen und Ohren lassen,

      Und ich höhn ihrem Wort:

      Lewwer duad üs Slaav.«

       

      Im Schiff vom der Ritter, panzerbewehrt,

      Stützt sich finster auf sein langes Schwert.

      Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit,

      Steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit.

      Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken.

      »Der Obrigkeit helf ich, die Frevler zu packen,

      In den Pfuhl das Wort:

      Lewwer duad üs Slaav.«

       

      Gen Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt,

      Ihr folgen die Ewer, kriegsvolkbesetzt,

      Und es knirschen die Kiele auf den Sand,

      Und der Ritter, der Priester springen ans Land,

      Und waffenrasselnd hinter den beiden

      Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden.

      Nun gilt es, Friesen:

      Lewwer duad üs Slaav.

       

      Die Knechte umzingeln das erste Haus,

      Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster heraus.

      Der Ritter, der Priester treten allein

      Über die ärmliche Schwelle hinein.

      Des langen Peters starkzählige Sippe

      Sitzt grad an der kargen Mittagskrippe.

      Jetzt zeige dich, Pidder:

      Lewwer duad üs Slaav!

       

      Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn,

      Der Priester will anheben seinen Sermon.

      Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt

      Und verbeugt sich noch einmal: »Ihr erlaubt,

      Daß wir euch stören bei eurem Essen,

      Bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen,

      Und euer Spruch ist ein Dreck:

      Lewwer duad üs Slaav.«

       

      Da reckt sich Pidder, steht wie ein Baum:

      »Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum!

      Wir waren der Steuern von jeher frei,

      Und ob du sie wünschst, ist uns einerlei!

      Zieh ab mit deinen Hungergesellen.

      Hörst du meine Hunde bellen;

      Und das Wort bleibt stehn:

      Lewwer duad üs Slaav.«

       

      »Bettelpack«, fährt ihn der Amtmann an,

      Und die Stimader schwillt dem geschienten Mann:

      »Du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf,

      Als bis dein Geld hier hegt zuhaut.«

      Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken

      Und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken.

      O Wort, geh nicht unter:

      Lewwer duad üs Slaav!

       

      Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an.

      Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann,

      Und er speit in den dampfenden Kohl hinein:

      »Nun geh an deinen Trog, du Schwein!«

      Und er will, um die peinliche Stunde zu enden,

      Zu seinen Leuten nach draußen sich wenden.

      Dumpf dröhnts von drinnen:

      »Lewwer duad üs Slaav!«

       

      Einen einzigen Sprung hat Pidder getan,

      Er schleppt an den Napf den Amtmann heran

      Und taucht ihm den Kopf ein und läßt ihn nicht frei,

      Bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei.

      Die Fäuste dann lassend vom furchtbaren Gittern,

      Brüllt er, die Türen und Wände zittern,

      Das stolzeste Wort:

      »Lewwer duad üs Slaav!«

       

      Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß,

      Die Häscher stürmen mit höllischem Gruß,

      Durchbohren den Fischer und zerren ihn fort;

      In den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord.

      Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben,

      Ruft noch einmal im Leben, im Sterben

      Sein Herrenwort:

      »Lewwer duad üs Slaav!«

       

          *

      Frank Wedekind  (1864 – 1918)

      Brigitte B.

       

      Ein junges Mädchen kam nach Baden,

      Brigitte B. war sie genannt,

      Fand Stellung dort in einem Laden,

      Wo sie gut angeschrieben stand.

       

      Die Dame, schon ein wenig älter,

      War dem Geschäfte zugetan,

      Der Herr ein höherer Angestellter

      Der königlichen Eisenbahn.

       

      Die Dame sagt nun eines Tages,

      Wie man zu Nacht gegessen hat:

      Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es

      Zu der Baronin vor der Stadt.

       

      Auf diesem Wege traf Brigitte

      Jedoch ein Individium,

      Das hat an sie nur eine Bitte,

      Wenn nicht, dann bringe er sich um.

       

      Brigitte, völlig unerfahren,

      Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.

      Drauf ging er fort mit ihren Waren

      Und ließ sie in der Lage drin.

       

      Sie könnt es anfangs gar nicht fassen,

      Dann lief sie heulend und gestand,

      Daß sie sich hat verführen lassen,

      Was die Madam verzeihlich fand.

       

      Daß aber dabei die Turnüre    (= Polster; Ad)

      Für die Baronin vor der Stadt

      Gestohlen worden sei, das schnüre

      Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.

       

      Brigitte warf sich vor ihr nieder,

      Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;

      Den Abend aber schlief sie wieder

      Bei ihrem Individium.

       

      Und als die Herrschaft dann um Pfingsten

      Ausflog mit dem Gesangverein,

      Lud sie ihn ohne die geringsten

      Bedenken abends zu sich ein.

       

      Sofort ließ er sich alles zeigen,

      Den Schreibtisch und den Kassenschrank,

      Macht die Papiere sich zu eigen

      Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.

       

      Brigitte, als sie nun gesehen,

      Was ihr Geliebter angericht,

      Entwich auf unhörbaren Zehen

      Dem Ehepaar aus dem Gesicht.

       

      Vorgestern hat man sie gefangen,

      Es läßt sich nicht beschreiben, wo;

      Dem Jüngling, der die Tat begangen,

      Dem ging es gestern ebenso.

 

          *

        Johann Spratte © (1901 – 1991)

        Ballade vom Suppenkraut

         

        Petersilie

        liebte ein zartes Suppenkräutlein.

        Das Kräutlein nannte ihn zärtlich Peter,

        und er hatte einen schönen

        französischen Namen für sie.

         

        In dunkler Gartenerde

        liebkosten einander ihre zarten Wurzelfasern

        und niemand hat es gesehen.

         

        Als an einem Freitag

        Erbsensuppe gekocht wurde,

        riß die Köchin das Kräutlein aus.

         

        (Das musste man der Köchin verzeihen,

        sie hatte von nichts gewusst.)

                       *

           aus:

    Johann Spratte, Gelber Wiesenmond. Ausgewählte Gedichte.

     Lechte Verlag , Emsdetten 1980, S. 90

 

    Ich danke ganz herzlich  dem Sohn des Autors, Herrn Wido Spratte, Wallenhorst/ Lechtingen,  für die freundliche Abdruckerlaubnis;  Februar 2011  -  siehe auch:

                                              In memoriam Johann Spratte

 

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