Frank Wedekind: Brigitte B.
Bert Brecht: Ballade von den Seeräubern; Kinderkreuzzug
Christa Reinig: Ballade vom blutigen Bomme
Wolf Biermann: Ballade auf den Dichter Francois Villon;;
Die Buckower Balladen
Arno Holz (1863 – 1929)
Een Boot is noch buten!“
“Ahoi! Klaas Nicken und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?
Gottlob, dat wi wedder to Hus sind!«
Die Fischer riefens und stießen ans Land
Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
Denn dumpf an rollten die Fluten;
Hans Jochen aber rechnete nach
Und schüttelte finster sein Haupt und sprach:
»Een Boot is noch buten!«
Und ernster keuchte die braune Schar
Dem Dorf zu über die Dünen;
Schon grüßten von fern mit zerwehtem Haar
Die Fraun an den Gräbern der Hünen.
Und »Korl!« hieß es und »Leiw Marie!«
»'t is doch man schön, datji wedder hie!«
Dumpf an rollten die Fluten -
»Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!«
Und Jochen wies in die brüllende See:
»Een Boot is noch buten!«
Am Ufer dräute der Möwenstein,
Drauf stand ein verrufnes Gemäuer,
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
Und gössen Öl in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: 0 komm nach Haus!
Dumpf an rollten die Fluten -
Hier steht dein Weib in Nacht und Wind
Und jammert laut und küßt dein Kind:
»Een Boot is noch buten!«
Doch die Nacht verrann, und die See ward still,
Und die Sonne schien in die Flammen,
Da schluchzte die Ärmste: »As Gott will!«
Und bewußtlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett,
Und draußen plätschern die Fluten;
Dort spielt ihr Kind, ihr »lütting Jehann«,
Und lallt wie träumend dann und wann:
»Een Boot is noch buten!«
Detlev von Liliencron (1844 – 1909)
Pidder Lüng
Der Amtmann von Tondem, Henning Pogwisch,
Schlägt mit der Faust auf den Eichentisch:
»Heut fahr ich selbst hinüber nach Sylt
Und hol mir mit eigner Hand Zins und Gült.
Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen,
Sollen sie Nasen und Ohren lassen,
Und ich höhn ihrem Wort:
Lewwer duad üs Slaav.«
Im Schiff vom der Ritter, panzerbewehrt,
Stützt sich finster auf sein langes Schwert.
Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit,
Steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit.
Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken.
»Der Obrigkeit helf ich, die Frevler zu packen,
In den Pfuhl das Wort:
Lewwer duad üs Slaav.«
Gen Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt,
Ihr folgen die Ewer, kriegsvolkbesetzt,
Und es knirschen die Kiele auf den Sand,
Und der Ritter, der Priester springen ans Land,
Und waffenrasselnd hinter den beiden
Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden.
Nun gilt es, Friesen:
Lewwer duad üs Slaav.
Die Knechte umzingeln das erste Haus,
Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster heraus.
Der Ritter, der Priester treten allein
Über die ärmliche Schwelle hinein.
Des langen Peters starkzählige Sippe
Sitzt grad an der kargen Mittagskrippe.
Jetzt zeige dich, Pidder:
Lewwer duad üs Slaav!
Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn,
Der Priester will anheben seinen Sermon.
Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt
Und verbeugt sich noch einmal: »Ihr erlaubt,
Daß wir euch stören bei eurem Essen,
Bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen,
Und euer Spruch ist ein Dreck:
Lewwer duad üs Slaav.«
Da reckt sich Pidder, steht wie ein Baum:
»Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum!
Wir waren der Steuern von jeher frei,
Und ob du sie wünschst, ist uns einerlei!
Zieh ab mit deinen Hungergesellen.
Hörst du meine Hunde bellen;
Und das Wort bleibt stehn:
Lewwer duad üs Slaav.«
»Bettelpack«, fährt ihn der Amtmann an,
Und die Stimader schwillt dem geschienten Mann:
»Du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf,
Als bis dein Geld hier hegt zuhaut.«
Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken
Und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken.
O Wort, geh nicht unter:
Lewwer duad üs Slaav!
Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an.
Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann,
Und er speit in den dampfenden Kohl hinein:
»Nun geh an deinen Trog, du Schwein!«
Und er will, um die peinliche Stunde zu enden,
Zu seinen Leuten nach draußen sich wenden.
Dumpf dröhnts von drinnen:
»Lewwer duad üs Slaav!«
Einen einzigen Sprung hat Pidder getan,
Er schleppt an den Napf den Amtmann heran
Und taucht ihm den Kopf ein und läßt ihn nicht frei,
Bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei.
Die Fäuste dann lassend vom furchtbaren Gittern,
Brüllt er, die Türen und Wände zittern,
Das stolzeste Wort:
»Lewwer duad üs Slaav!«
Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß,
Die Häscher stürmen mit höllischem Gruß,
Durchbohren den Fischer und zerren ihn fort;
In den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord.
Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben,
Ruft noch einmal im Leben, im Sterben
Sein Herrenwort:
»Lewwer duad üs Slaav!«
Frank Wedekind (1864 – 1918)
Brigitte B.
Ein junges Mädchen kam nach Baden,
Brigitte B. war sie genannt,
Fand Stellung dort in einem Laden,
Wo sie gut angeschrieben stand.
Die Dame, schon ein wenig älter,
War dem Geschäfte zugetan,
Der Herr ein höherer Angestellter
Der königlichen Eisenbahn.
Die Dame sagt nun eines Tages,
Wie man zu Nacht gegessen hat:
Nimm dies Paket, mein Kind, und trag es
Zu der Baronin vor der Stadt.
Auf diesem Wege traf Brigitte
Jedoch ein Individium,
Das hat an sie nur eine Bitte,
Wenn nicht, dann bringe er sich um.
Brigitte, völlig unerfahren,
Gab sich ihm mehr aus Mitleid hin.
Drauf ging er fort mit ihren Waren
Und ließ sie in der Lage drin.
Sie könnt es anfangs gar nicht fassen,
Dann lief sie heulend und gestand,
Daß sie sich hat verführen lassen,
Was die Madam verzeihlich fand.
Daß aber dabei die Turnüre (= Polster; Ad)
Für die Baronin vor der Stadt
Gestohlen worden sei, das schnüre
Das Herz ihr ab, sie hab sie satt.
Brigitte warf sich vor ihr nieder,
Sie sei gewiß nicht mehr so dumm;
Den Abend aber schlief sie wieder
Bei ihrem Individium.
Und als die Herrschaft dann um Pfingsten
Ausflog mit dem Gesangverein,
Lud sie ihn ohne die geringsten
Bedenken abends zu sich ein.
Sofort ließ er sich alles zeigen,
Den Schreibtisch und den Kassenschrank,
Macht die Papiere sich zu eigen
Und zollt ihr nicht mal mehr den Dank.
Brigitte, als sie nun gesehen,
Was ihr Geliebter angericht,
Entwich auf unhörbaren Zehen
Dem Ehepaar aus dem Gesicht.
Vorgestern hat man sie gefangen,
Es läßt sich nicht beschreiben, wo;
Dem Jüngling, der die Tat begangen,
Dem ging es gestern ebenso.