Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

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                Beispiele der Schauerballade:

       

      Gottfried August Bürger (1747 – 1794)

      Lenore

      Lenore fuhr ums Morgenrot

      Empor aus schweren Träumen :

      »Bist untreu, Wilhelm, oder tot?

      Wie lange willst du säumen? «

      Er war mit König Friedrichs Macht

      Gezogen in die Prager Schlacht

      Und hatte nicht geschrieben,

      Ob er gesund geblieben.

       

      Der König und die Kaiserin,

      Des langen Haders müde,

      Erweichten ihren harten Sinn

      Und machten endlich Friede;

      Und jedes Heer, mit Sing und Sang,

      Mit Paukenschlag und Kling und Klang,

      Geschmückt mit grünen Reisern,

      Zog heim zu seinen Häusern.

       

      Und überall, allüberall,

      Auf Wegen und auf Stegen,

      Zog alt und jung dem Jubelschall

      Der Kommenden entgegen.

      »Gottlob! « rief Kind und Gattin laut,

      »Willkommen!« manche frohe Braut.

      Ach! aber für Lenoren

      War Gruß und Kuss verloren.

       

      Sie trug den Zug wohl auf und ab

      Und trug nach allen Namen;

      Doch keiner war, der Kundschaft gab,

      Von allen, so da kamen.

      Als nun das Heer vorüber war,

      Zerraufte sie ihr Rabenhaar

      Und warf sich hin zur Erde

      Mit wütiger Gebärde.

       

      Die Mutter lief wohl hin zu ihr:

      »Ach, dass sich Gott erbarme!

      Du trautes Kind, was ist mit dir? «

      Und schloss sie in die Arme.

      »O Mutter, Mutter! hin ist hin!

      Nun fahre Welt und alles hin!

      Bei Gott ist kein Erbarmen.

      O weh, o weh mir Armen! «

       

      »Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an I

      Kind, bet ein Vaterunser!

      Was Gott tut, das ist wohlgetan,

      Gott, Gott erbarmt sich unser! «

      »O Mutter, Mutter! eitler Wahn!

      Gott hat an mir nicht wohlgetan!

      Was half, was half mein Beten ?

      Nun ists nicht mehr vonnöten.«

       

      »Hilf Gott, hilf! Wer den Vater kennt,

      Der weiß, er hilft den Kindern.

      Das hochgelobte Sakrament

      Wird deinen Jammer lindern. «

      »O Mutter, Mutter, was mich brennt,

      Das lindert mir kein Sakrament!

      Kein Sakrament mag Leben

      Den Toten wiedergeben. «

       

      »Hör, Kind! Wie, wenn der falsche Mann

      Im fernen Ungerlande

      Sich seines Glaubens abgetan

      Zum neuen Ehebande ?

      Las fahren, Kind, sein Herz dahin!

      Er hat es nimmermehr Gewinn!

      Wann Seel und Leib sich trennen,

      Wird ihn sein Meineid brennen. «

       

      »O Mutter, Mutter! hin ist hin!

      Verloren ist verloren!

      Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!

      O war ich nie geboren!

      Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

      Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!

      Bei Gott ist kein Erbarmen;

      O weh, o weh mir Armen! «

       

      »Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht

      Mit deinem armen Kinde!

      Sie weiß nicht, was die Zunge spricht;

      Behalt ihr nicht die Sünde!

      Ach, Kind, vergiss dein irdisch Leid

      Und denk an Gott und Seligkeit,

      So wird doch deiner Seelen

      Der Bräutigam nicht fehlen. «

       

      »O Mutter! was ist Seligkeit?

      O Mutter! was ist Hölle?

      Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,

      Und ohne Wilhelm Hölle!

      Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!

      Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!

      Ohn ihn mag ich auf Erden,

      Mag dort nicht selig werden. «

       

      So wütete Verzweifelung

      Ihr in Gehirn und Adern.

      Sie fuhr mit Gottes Vorsehung

      Vermessen fort zu hadern,

      Zerschlug den Busen und zerrang

      Die Hand bis Sonnenuntergang,

      Bis auf am Himmelsbogen

      Die goldnen Sterne zogen.

       

      Und außen, horch! gings trapp trapp trapp,

      Als wie von Rosseshufen,

      Und klirrend stieg ein Reiter ab

      An des Geländers Stufen.

      Und horch! und horch! den Pfortenring

      Ganz lose, leise, klinglingling!

      Dann kamen durch die Pforte

      Vernehmlich diese Worte:

       

      »Holla, holla! Tu auf, mein Kind!

      Schläfst, Liebchen, oder wachst du?

      Wie bist noch gegen mich gesinnt?

      Und weinest oder lachst du? «

      »Ach, Wilhelm, du ?... So spät bei Nacht

      Geweinet hab ich und gewacht;

      Ach, großes Leid erlitten!

      Wo kommst du hergeritten? «

       

      »Wir satteln nur um Mitternacht.

      Weit ritt ich her von Böhmen.

      Ich habe spät mich aufgemacht

      Und will dich mit mir nehmen. «

      »Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!

      Den Hagedorn durchsaust der Wind,

      Herein, in meinen Armen,

      Herzliebster, zu erwarmen!«

       

      »Lass sausen durch den Hagedorn;

      Lass sausen, Kind, lass sausen!

      Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn.

      Ich darf allhier nicht hausen.

      Komm, schürze, spring und schwinge dich

      Auf meinen Rappen hinter mich!

      Muss heut noch hundert Meilen

      Mir dir ins Brautbett eilen. «

       

      »Ach, wolltest hundert Meilen noch

      Mich heut ins Brautbett tragen?

      Und horch, es brummt die Glocke noch,

      Die elf schon angeschlagen. «

      »Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell.

      Wir und die Toten reiten schnell.

      Ich bringe dich, zur Wette,

      Noch heut ins Hochzeitbette. «

       

      »Sag an, wo ist dein Kämmerlein?

      Wo? wie dein Hochzeitbettchen?«

      »Weit, weit von hier! ... Still, kühl und klein!...

      Sechs Bretter und zwei Brettchen!«

      »Hats Raum für mich ?« - »Für dich und mich!

      Komm, schürze, spring und schwinge dich!

      Die Hochzeitgäste hoffen;

      Die Kammer steht uns offen. «

       

      Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang

      Sich auf das Ross behende;

      Wohl um den trauten Reiter schlang

      Sie ihre Lilienhände;

      Und hurre hurre, hopp hopp hopp!

      Gings fort in sausendem Galopp,

      Dass Ros und Reiter schnoben

      Und Kies und Funken stoben.

       

      Zur rechten und zur linken Hand,

      Vorbei vor ihren Blicken,

      Wie flogen Anger, Heid und Land!

      Wie donnerten die Brücken!

      »Graut Liebchen auch? ... Der Mond scheint hell!

      Hurra! Die Toten reiten schnell!

      Graut Liebchen auch vor Toten? «

       

      »Ach nein! ... Doch las die Toten! «

      Was klang dort für Gesang und Klang?

      Was flatterten die Raben?...

      Horch, Glockenklang! Horch, Totensang:

      »Lasst uns den Leib begraben! «

      Und näher zog ein Leichenzug,

      Der Sarg und Totenbahre trug.

      Das Lied war zu vergleichen

      Dem Unkenruf in Teichen.

       

      »Nach Mitternacht begrabt den Leib

      Mit Klang und Sang und Klage !

      Jetzt führ ich heim mein junges Weib;

      Mit, mit zum Brautgelage!

      Komm, Küster, hier! komm mit dem Chor

      und gurgle mir das Brautlied vor!

      Komm, Pfaff, und sprich den Segen,

      Eh wir zu Bett uns legen! «

       

      Still Klang und Sang ... Die Bahre schwand  . . .

      Gehorsam seinem Rufen,

      Kams hurre hurre! nachgerannt

      Hart hinters Rappen Hufen.

      Und immer weiter, hopp hopp hopp!

      Gings fort in sausendem Galopp,

      Dass Ros und Reiter schnoben

      Und Kies und Funken stoben.

       

      »Rapp! Rapp! mich dünkt, der Hahn schon ruft . . .

      Bald wird der Sand verrinnen . . .

      Rapp! Rapp! ich wittre Morgenluft. . .

      Rapp! tummle dich von hinnen!

      Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!

      Das Hochzeitbette tut sich auf!

      Die Toten reiten schnelle!

      Wir sind, wir sind zur Stelle.«

       

      Rasch auf ein eisern Gittertor

      Gings mit verhängtem Zügel;

      Mit schwanker Gert ein Schlag davor

      Zersprengte Schloss und Riegel.

      Die Flügel flogen klirrend auf,

      Und über Gräber ging der Lauf;

      Es blinkten Leichensteine

      Rundum im Mondenscheine.

       

      Ha sieh! Ha sieh! Im Augenblick,

      Huhu! ein grässlich Wunder! ,

      Des Reiters Koller, Stück für Stück,

      Fiel ab wie mürber Zunder.

      Zum Schädel, ohne Zopf und Schöpf,

      Zum nackten Schädel ward sein Kopf,

      Sein Körper zum Gerippe

      Mit Stundenglas und Hippe.

       

      Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp

      Und sprühte Feuerfunken;

      Und hui! wars unter ihr hinab

      Verschwunden und versunken.

      Geheul! Geheul! aus hoher Luft,

      Gewinsel kam aus tiefer Gruft.

      Lenorens Herz mit Beben

      Rang zwischen Tod und Leben.

       

      Nun tanzten wohl bei Mondenglanz

      Rundum herum im Kreise

      Die Geister einen Kettentanz

      Und heulten diese Weise:

      »Geduld, Geduld! Wenns Herz auch bricht!

      Mit Gott im Himmel hadre nicht!

      Des Leibes bist du ledig;

      Gott sei der Seele gnädig! «

                         *

      König Friedrich II., König von Preußen, der Große genannt und Maria Theresia

      von Österreich, deutsche Kaiserin - Siebenjähriger Krieg (1756-63)

         

                                 *

      Ulrich und Ännchen  (Herders Volkslieder 1 S. 79)

      (aus: Des Knaben Wunderhorn. Nach dem Text der Erstausgabe von 1806/ 1808)

       

      Es ritt einst Ulrich spazieren aus,

      Er ritt wohl vor lieb Ännchens Haus:

      "Lieb Ännchen, willst mit in grünen Wald?

      Ich will dir lehren den Vogelsang."

       

      Sie gingen wohl miteinander fort,

      Sie kamen an eine Hasel dort,

      Sie kamen ein Fleckchen weiter hin,

      Sie kamen auf eine Wiese grün.

       

      Er führte sie ins grüne Gras,

      Er bat, lieb Ännchen niedersaß,

      Er legt seinen Kopf in ihren Schoß,

      Mit heißen Tränen sie ihn begoß.

       

      “Ach Ännchen, liebes Ännchen mein,

      Warum weinst du denn so sehr um ein'n?

      Weinst irgend um deines Vaters Gut?

      Oder weinest um dein junges Blut?

       

      Oder bin ich dir nicht schön genug?"

      "lch weine nicht  um meines Vaters Gut,

      Ich wein auch nicht um mein junges Blut,

      Und, Ulrich, bist mir auch schön genug.

       

      Da droben auf jener Tannen

      Eilf Jungfrau sah ich hangen."

      "Ach Ännchen, liebes Ännchen mein,

      Wie bald sollst du die zwölfte sein."

       

      "Soll ich denn nun die zwölfte sein?

      Ich bitt, Ihr wollt mir drei Schrei verleihn."

      Den ersten Schrei und den sie tat,

      Sie rufte ihren Vater an;

       

      Den andern Schrei und den sie tat,

      Sie ruft ihren lieben Herrgott an;

      Den dritten Schrei und den sie tat,

      Sie ruft ihren jüngsten Bruder an.

       

      Ihr Bruder saß beim roten kühlen Wein,

      Der Schall, der fuhr zum Fenster hinein:

      "Höret ihr Brüder alle,

      Meine Schwester schreit aus dem Walde.

       

      Ach Ulrich, lieber Ulrich mein,

      Wo hast du die jüngste Schwester mein?"

      "Dort oben auf jener Linde,

      Schwarzbraune Seide tut sie spinnen."

       

      "Warum sind deine Schuh so blutrot?

      Warum sind deine Augen so tot?"

      "Warum sollten sie nicht blutrot sein?

      Ich schoß ein Turteltäubelein. "

       

      "Das Turteltäublein, das du erschoßt,

      Das trug meine Mutter unter ihrer Brust,

      Das trug meine Mutter in ihrem Schoß

      Und zog es mit ihrem Blute groß."

       

      Lieb Ännchen kam ins tiefe Grab,

      Schwager Ulrich auf das hohe Rad,

      Um Ännchen sungen die Engelein,

      Um Ulrich schrieen die Raben allein.

       

                           *

Ballade_Es ritt ein Ritter

 

    Aus dem „Zupfgeigenhansel“ (Friedrich Hofmeister in Leipzig 1925 27. Aufl.)

    Nach Scherers Jungbrunnen. Weise aus Oberhessen:

     

    Es ritt ein Reiter wohl durch das Ried,

    er schwenkt sich um und sang ein Lied,

    ein Lied von dreierlei Stimmen,

    das drüben im Wald tät klingen.

     

    „Schöne Jungfrau, wollt ihr mit mir gahn,

    ich will euch lehren, was ich kann:

    ein Lied von dreierlei Stimmen,

    das drüben im Wald tut klingen.

     

    Er nahm sie bei dem Gürtelschloß

    und schwang sie hinter sich auf sein Roß,

    er ritt gar eilend und balde

    zu einem stockfinsteren Walde.

     

    Er spreit seinen Mantel ins grüne Gras,

    und bat sie, daß sie zu ihm saß:

    „Schöne Jungfrau, du mußt mir lausen,

    mein gelbkraus Härlein verzausen.“

     

    So manches Löcklein als sie zertat,

    so manche Träne fiel ihr herab.

    Er schaute ihr unter die Augen:

    „Feins Liebchen, was bist du so traurig?“

     

    Weinst du um deines Vaters Gut,

    oder weinst du um deinen stolzen Mut,

    oder weinst du um deinen Junfernkranz?

    Der ist zerbrochen und wird nicht ganz.“

     

    „Ich wein nicht um meines Vaters Gut,

    ich wein nicht um meinen stolzen Mut,

    ich weine ob jener Tannen,

    daran eilf Jungfräulein hangen.“

     

    „Weinst du ob jener Tannen,

    dan eilf Jungfräulein hangen,

    so sollst du bald die zwölfte sein,

    sollst hangen am höchsten Dölderlein.“

     

    „Ach Herre, liebster Herre mein,

    erlaubt mir nur drei einzige Schrei,

    dann will ich ja gern die zwölfte sein,

    will hangen am höchsten Dölderlein.“

     

    Den ersten Schrei, und den sie tut,

    den schreit sie ihrem Vater zu:

    „Ach liebster Vater, komme balde,

    sonst muß ich hier sterben im Walde.!“

     

    Den zweiten Schrei, und den sie tut,

    den schreit sie ihrer Mutter zu:

    „Ach Mutter, komm behende,

    sonst nimmt mein Leben ein Ende!“

     

    Den dritten Schrei, und den sie tut,

    den schreit sie ihrem Bruder zu:

    „Ach liebster Bruder, komme balde,

    sonst muß ich hier sterben im Walde!“

     

    Ihr Bruder war ein Jägersmann,

    der alle Tierlein schießen kann,

    er hört seine Schwester schreien,

    er wollte sie befreien.

     

    Der Jäger hat ein zweischneidig Schwert,

    er stach es dem Reiter durch das Herz,

    er tät ein Wiedelein klenken

    und tät den Reiter aufhenken.

     

    Er nahm sein Schwesterlein bei der Hand,

    er führte sie in ihr Vaterland:

    „Daheim sollst du hausen und bauen,

    einem Ritter sollst du nimmer trauen.“

           *

 

      Joseph von Eichendorff (1788 – 1857)

      Waldgespräch

       

      »Es ist schon spät, es wird schon kalt,

      Was reitst du einsam durch den Wald?

      Der Wald ist lang, du bist allein,

      Du schöne Braut! Ich führ dich heim!«

       

      »Groß ist der Männer Trug und List,

      Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,

      Wohl irrt das Waldhorn her und hin,

      O flieh! du weißt nicht, wer ich bin.«

       

      »So reich geschmückt ist Roß und Weib,

      So wunderschön der junge Leib,

      Jetzt kenn ich dich - Gott steh mir bei!

      Du bist die Hexe Lorelei.«

       

      »Du kennst mich wohl - von hohem Stein

      Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.

      Es ist schon spät, es wird schon kalt,

      Kommst nimmermehr aus diesem Wald!«

          *

      Adalbert von Chamisso (1781 – 1838)

      Die Sonne bringt es an den Tag

       

      Gemächlich in der Werkstatt saß

      Zum Frühtrunk Meister Nikolas,

      Die junge Hausfrau schenkt' ihm ein,

      Es war im heitern Sonnenschein. -

      Die Sonne bringt es an den Tag.

       

      Die Sonne blinkt von der Schale Rand,

      Malt zitternde Kringeln an die Wand,

      Und wie den Schein er ins Auge faßt,

      So spricht er für sich, indem er erblaßt:

      „Du bringst es doch nicht an den Tag." -

       

      „Wer nicht? was nicht?" die Frau fragt gleich,

      „Was stierst du so an? was wirst du so bleich?"

      Und er darauf: „Sei still, nur still!

      Ich's doch nicht sagen kann noch will.

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag."

       

      Die Frau nur dringender forscht und fragt,

      Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt,

      Mit süßem und mit bitterm Wort;

      Sie fragt und plagt ihn fort und fort:

      „Was bringt die Sonne nicht an den Tag?"

       

      „Nein, nimmermehr!" - „Du sagst es mir noch.

      „Ich sag es nicht." - „Du sagst es mir doch." -

      Da ward zuletzt er müd und schwach

      Und gab der Ungestümen nach. -

      Die Sonne bringt es an den Tag.

       

      „Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jahr,

      Da traf es mich einst gar sonderbar;

      Ich hatt nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh,

      War hungrig und durstig und zornig dazu. -

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

       

      Da  kam mir just ein Jud in die Quer,   

      Ringsher war's still und menschenleer;

      ,Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not!

      Den Beutel her, sonst schlag ich dich tot!“

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

       

      Und er: »Vergieße nicht mein Blut,

      Acht Pfennige sind mein ganzes Gut!'

      Ich glaubt ihm nicht und fiel ihn an;

      Er war ein alter, schwacher Mann -

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

       

      So rücklings lag er blutend da;

      Sein brechendes Äug in die Sonne sah;

      Noch hob er zuckend die Hand empor,

      Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr:

      ,Die Sonne bringt es an den Tag!'

       

      Ich macht ihn schnell noch vollends stumm

      Und kehrt ihm die Taschen um und um:

      Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld.

      Ich scharrt ihn ein auf selbigem Feld -

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

       

      Dann zog ich weit und weiter hinaus,

      Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. -

      Du weißt nun meine Heimlichkeit,

      So halte den Mund und sei gescheit!

      Die Sonne bringt's nicht an den Tag.

       

      Wann aber sie so flimmernd scheint,

      Ich merk es wohl, was sie da meint,

      Wie sie sich müht und sich erbost, -

      Du, schau nicht hin und sei getrost:

      Sie bringt es doch nicht an den Tag."

       

      So hatte die Sonn eine Zunge nun,

      Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn. -

      „Gevatterin, um Jesus Christ!

      Laßt Euch nicht merken, was Ihr nun wißt!"

      Nun bringt's die Sonne an den Tag.

       

      Die Raben ziehen krächzend zumal

      Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl.

      Wen flechten sie aufs Rad zur Stund?

      Was hat er getan? wie ward es kund?

      Die Sonne bracht es an den Tag.

 

                                                                                     (1827)

 

    In der „Judenbuche“ der Droste wie in dieser Ballade des Chamisso sorgt  die  Natur, hier die Sonne, für

    Sühne und späte Gerechtigkeit einer im  Volk  diskriminierten Randgruppe, wenngleich Juden staatsrechtlich

     seit 1812 durch das  Preußische Emanzipationsedikt Friedrich Wilhelms den “Einländern”   gleichgestellt waren.

     

      Annette von Droste – Hülshoff (1787 – 1848)

      Die Vergeltung

       

      Der Kapitän steht an der Spiere,

      Das Fernrohr in gebräunter Hand,

      Dem schwarzgelockten Passagiere

      Hat er den Rücken zugewandt.

      Nach einem Wolkenstreif in Sinnen

      Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,

      Der Fremde spricht: »Was braut da drinnen?« -

      »Der Teufel«, brummt der Kapitän.

       

      Da hebt von morschen Balkens Trümmer

      Ein Kranker seine feuchte Stirn,

      Des Äthers Blau, der See Geflimmer,

      Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!

      Er läßt die Blicke, schwer und düster,

      Entlängs dem harten Pfühle gehn,

      Die eingegrabnen Worte liest er:

      »Batavia. Fünfhundertzehn.«

       

      Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde

      Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,

      Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,

      Die Bohlen weichen mit Gestöhn.

      »Jesus, Marie! wir sind verloren!«

      Vom Mast geschleudert der Matros,

      Ein dumpfer Krach in aller Ohren,

      Und langsam löst der Bau sich los.

       

      Noch liegt der Kranke am Verdecke,

      Um seinen Balken fest geklemmt,

      Da kömmt die Flut, und eine Strecke

      Wird er ins wüste Meer geschwemmt.

      Was nicht geläng der Kräfte Sporne,

      Das leistet ihm der starre Krampf,

      Und wie ein Narwal mit dem Home

      Schießt fort er durch der Wellen Dampf.

       

      Wie lange so? - er weiß es nimmer,

      Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,

      Und langsam schwimmt er mit der Trümmer

      Auf ödem glitzerndem Kristall.

      Das Schiff! - die Mannschaft! - sie versanken.

      Doch nein, dort auf der Wasserbahn,

      Dort sieht den Passagier er schwanken

      In einer Kiste morschem Kahn.

       

      Armselge Lade! sie wird sinken,

      Er strengt die heisre Stimme an:

      »Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!«

      Und immer näher schwankts heran,

      Und immer näher treibt die Trümmer,

      Wie ein verwehtes Möwennest;

      »Courage!« ruft der kranke Schwimmer,

      »Mich dünkt, ich sehe Land im West!«

       

      Nun rühren sich der Fähren Ende,

      Er sieht des fremden Auges Blitz,

      Da plötzlich fühlt er starke Hände,

      Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.

      »Barmherzigkeit! Ich kann nicht kämpfen!«

      Er klammert dort, er klemmt sich hier,

      Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,

      Am Balken schwimmt der Passagier.

       

      Dann hat er kräftig sich geschwungen

      Und schaukelt durch das öde Blau,

      Er sieht das Land wie Dämmerungen

      Enttauchen und zergehn in Grau.

      Noch lange ist er so geschwommen,

      Umflattert von der Möwe Schrei,

      Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen.

      Viktoria! nun ist er frei!

       

        II.

      Drei kurze Monde sind verronnen,

      Und die Fregatte liegt am Strand,

      Wo mittags sich die Robben sonnen,

      Und Bursche klettern übem Rand,

      Den Mädchen ists ein Abenteuer,

      Es zu erschaun vom fernen Riff,

      Denn noch zerstört, ist nicht geheuer

      Das greuliche Korsarenschiff.

       

      Und vor der Stadt, da ist ein Waten,

      Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,

      Da die verrufenen Piraten

      Ein jeder sterben sehen will.

      Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,

      Hat man den Galgen, dicht am Meer,

      In wüster Eile aufgezimmert.

      Dort dräut er von der Düne her!

       

      Welch ein Getümmel an den Schranken!

      »Da kömmt der Frei - der Hessel jetzt -

      Da bringen sie den schwarzen Franken,

      Der hat geleugnet bis zuletzt.« -

      »Schiffbrüchig sei er hergeschwommen«,

      Höhnt eine Alte, »ei, wie kühn!

      Doch keiner sprach zu seinem Frommen,

      Die ganze Bande gegen ihn.«

       

      Der Passagier, am Galgen stehend,

      Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,

      Zu jedem Räuber flüstert flehend:

      »Was tat dir mein unschuldig Blut?

      Barmherzigkeit! - So muß ich sterben

      Durch des Gesindels Lügenwort,

      O, mög die Seele euch verderben!«

      Da zieht ihn schon der Scherge fort.

       

      Er sieht die Menge wogend spalten -

      Er hört das Summen im Gewühl -

      Nun weiß er, daß des Himmels Walten

      Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!

      Und als er in des Hohnes Stolze

      Will starren nach den Ätherhöhn,

      Da liest er an des Galgens Holze:

      »Batavia. Fünfhundertzehn.«

       

          *

      Annette von Droste-Hülshoff (1787 – 1848)

      Der Knabe im Moor

       

      O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,

      Wenn es wimmelt vom Heiderauche,

      Sich wie Phantome die Dünste drehn

      Und die Ranke häkelt am Strauche,

      Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,

      Wenn aus der Spalte es zischt und singt,

      O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,

      Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

       

      Fest hält die Fibel das zitternde Kind

      Und rennt, als ob man es jage;

      Hohl über die Fläche sauset der Wind -

      Was raschelt drüben am Hage?

      Das ist der gespenstische Gräberknecht,

      Der dem Meister die besten Torfe verzecht;

      Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!

      Hinducket das Knäblein zage.

       

      Vom Ufer starret Gestumpf hervor,

      Unheimlich nicket die Föhre,

      Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,

      Durch Riesenhalme wie Speere;

      Und wie es rieselt und knittert darin!

      Das ist die unselige Spinnerin,

      Das ist die gebannte Spinnlenor’,

      Die den Haspel dreht im Geröhre!

       

      Voran, voran, nur immer im Lauf,

      Voran, als woll’ es ihn holen!

      Vor seinem Fuße brodelt es auf,

      Es pfeift ihm unter den Sohlen

      Wie eine gespenstige Melodei;

      Das ist der Geigenmann ungetreu,

      Das ist der diebische Fiedler Knauf,

      Der den Hochzeitheller gestohlen!

       

      Da birst das Moor, ein Seufzer geht

      Hervor aus der klaffenden Höhle;

      Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:

      »Ho, ho, meine arme Seele!«

      Der Knabe springt wie ein wundes Reh;

      Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’,

      Seine bleichenden Knöchelchen fände spät

      Ein Gräber im Moorgeschwele.

       

      Da mählich gründet der Boden sich,

      Und drüben, neben der Weide,

      Die Lampe flimmert so heimatlich,

      Der Knabe steht an der Scheide.

      Tief atmet er auf, zum Moor zurück

      Noch immer wirft er den scheuen Blick:

      Ja, im Geröhre wars fürchterlich,

      O, schaurig wars in der Heide!

 

          *

      Friedrich Hebbel ( 1813 – 1863)

      Der Heideknabe

       

      Der Knabe träumt, man schicke ihn fort

      Mit dreißig Talern zum Heide-Ort,

      Er ward drum erschlagen am Wege

      Und war doch nicht langsam und träge.

       

      Noch liegt er im Angstschweiß, da rüttelt ihn

      Sein Meister, und heißt ihm, sich anzuziehn

      Und legt ihm das Geld auf die Decke

      Und fragt ihn, warum er erschrecke.

       

      »Ach Meister, mein Meister, sie schlagen mich tot,

      Die Sonne, sie ist ja wie Blut so rot!«

      »Sie ist es für dich nicht alleine,

      Drum schnell, sonst mach ich dir Beine!«

       

      »Ach Meister, mein Meister, so sprachst du schon,

      Das war das Gesicht, der Blick, der Ton,

      Gleich greifst du« - zum Stock, will er sagen,

      Er sagts nicht, er wird schon geschlagen.

       

      »Ach Meister, mein Meister, ich geh, ich geh,

      Bring meiner Frau Mutter das letzte Ade!

      Und sucht sie nach allen vier Winden,

      Am Weidenbaum bin ich zu finden!«

       

      Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,

      Die Heide, nebelnd, gespenstiglich,

      Die Winde darüber sausend.

      »Ach, war hier ein Schritt wie tausend!«

      Und alles so still, und alles so stumm,

      Man sieht sich umsonst nach Lebendigem um,

      Nur hungrige Vögel schießen

      Aus Wolken, um Würmer zu spießen.

       

      Er kommt ans einsame Hirtenhaus,

      Der alte Hirt schaut eben heraus,

      Des Knaben Angst ist gestiegen,

      Am Wege bleibt er noch liegen.

       

      »Ach Hirte, du bist ja von frommer Art,

      Vier gute Groschen hab ich gespart,

      Gib deinen Knecht mir zur Seite,

      Dass er bis zum Dorf mich begleite.

       

      Ich will sie ihm geben, er trinke dafür

      Am nächsten Sonntag ein gutes Bier,

      Dies Geld hier, ich trag es mit Beben,

      Man nahm mir im Traum drum das Leben!«

       

      Der Hirt, der winkte dem langen Knecht,

      Er schnitt sich eben den Stecken zurecht,

      Jetzt trat er hervor - wie graute

      Dem Knaben, als er ihn schaute!

       

      »Ach Meister Hirte, ach nein, ach nein,

      Es ist doch besser, ich geh allein!«

      Der Lange sprach grinsend zum Alten:

      »Er will die vier Groschen behalten.«

       

      »Da sind die vier Groschen!« Er wirft sie hin

      Und eilt hinweg mit verstörtem Sinn.

      Schon kann er die Weide erblicken,

      Da klopft ihn der Knecht in den Rücken.

       

      »Du hältst es nicht aus, du gehst zu geschwind,

      Ei, eile mit Weile, du bist ja noch Kind,

      Auch muss das Geld dich beschweren,

      Wer kann dir das Ausruhn verwehren'

       

      Komm, setz dich unter den Weidenbaum,

      Und dort erzähl mir den hässlichen Traum;

      Mir träumte - Gott soll mich verdammen,

      Triffts nicht mit deinem zusammen!«

       

      Er fasst den Knaben wohl bei der Hand,

      Der leistet auch nimmermehr Widerstand,

      Die Blätter flüstern so schaurig,

      Das Wässerlein rieselt so traurig!

       

      »Nun sprich, du träumtest« - »Es kam ein Mann -

      War ich das? Sieh mich doch näher an,

      Ich denke, du hast mich gesehen!

      Nun weiter, wie ist es geschehen?«

       

      »Er zog ein Messer!« - »War das wie dies?« -

      »Ach ja, ach ja!« - »Er zogs?« - »Und stieß -«

      »Er stieß dirs wohl so durch die Kehle?

      Was hilft es auch, dass ich dich quäle!«

       

      Und fragt ihr, wie's weiter gekommen sei?

      So fragt zwei Vögel, sie saßen dabei,

      Der Rabe verweilte gar heiter,

      Die Taube konnte nicht weiter!

       

      Der Rabe erzählt, was der Böse noch tat,

      Und auch, wie's der Henker gerochen hat,

      Die Taube erzählt, wie der Knabe

      Geweint und gebetet habe.

 

          *

      Friedrich Hebbel  (1813 – 1863)

      Das Kind am Brunnen

       

      Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!

      Doch die liegt ruhig im Schlafe.

      Die Vöglein zwitschern, die Sonne lacht,

      Am Hügel weiden die Schafe.

       

      Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,

      Es wagt sich weiter und weiter!

      Hinab zum Brunnen nimmt es den Laut,

      Da stehen Blumen und Kräuter.

       

      Frau Amme, Frau Amme, der Brunnen ist tief!

      Sie schläft, als läge sie drinnen.

      Das Kind läuft schnell, wie es nie noch lief,

      Die Blumen lockens von hinnen.

       

      Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,

      Nun pflückt es die Blumen sich munter;

      Dich bald ermüdet das reizende Spiel,

      Da schauts in die Tiefe hinunter.

       

      Und unten erblickt es ein holdes Gesicht,

      Mit Augen so hell und so süße,

      Es ist sein eignes, das weiß es noch nicht;

      Viel stumme, freundliche Grüße.

       

      Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind

      Winkt aus der Tiefe ihm wieder,

      »Herauf, herauf!« so meints das Kind,

      Der Schatten: »Hernieder, hernieder!«

       

      Schon beugt es sich über den Brunnenrand -

      Frau Amme, du schläfst noch immer?

       

      Da fallen die Blumen ihm aus der Hand

      Und trüben den lockenden Schimmer.

       

      Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,

      Verschluckt von der hüpfenden Welle.

      Das Kind durchschauerts fremd und kalt,

      Und schnell enteilt es der Stelle.

 

          *

           

    Theodor Fontane ( 1819 – 1898)

    Die Brück am Tay 

    (28. Dezember 1879)

          When shall we three meet again ?

                  Macbeth

     

    »Wann treffen wir drei wieder zusamm ?«

    »Um die siebente Stund, am Brückendamm.«

    »Am Mittelpfeiler.«

      »Ich lösche die Flamm.«

    »Ich mit.«

        »Ich komme vom Norden her.«

    »Und ich vom Süden.«

              »Und ich vom Meer.«

    »Hei, das gibt einen Ringelreihn,

    Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

     

    »Und der Zug, der in die Brücke tritt

    Um die siebente Stund?«

          »Ei, der muß mit.«

    »Muß mit.«

        »Tand, Tand

    Ist das Gebilde von Menschenhand!«

     

     

    Auf der Norderseite, das Brückenhaus -

    Alle Fenster sehen nach Süden aus,

    Und die Brücknersleut ohne Rast und Ruh

    Und in Bangen sehen nach Süden zu,

    Sehen und warten, ob nicht ein Licht

    Übers Wasser hin >Ich komme< spricht,

    >Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,

    Ich, der Edinburger Zug.<

     

    Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schi

    Am anderen Ufer. Das muß er sein.

    Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

    Unser Johnie kommt und will seinen Baum,

    Und was noch am Baume von Lichtern ist,

    Zünd alles an wie zum heiligen Christ,

    Der will heuer zweimal mit uns sein -

    Und in elf Minuten ist er herein.«

     

    Und es war der Zug. Am Süderturm

    Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

    Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

    Aber was tut es, wir zwingen es doch.

    Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,

    Die bleiben Sieger in solchem Kampf,

    Und wie's auch rast und ringt und rennt,

    Wir kriegen es unter, das Element.

     

    Und unser Stolz ist unsre Brück;

    Ich lache, denk ich an früher zurück,

    An all den Jammer und all die Not

    Mit dem elend alten Schifferboot;

    Wie manche liebe Christfestnacht

    Hab ich im Fährhaus zugebracht

    Und sah unsrer Fenster lichten Schein

    Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

     

    Auf der Norderseite, das Brückenhaus -

    Alle Fenster sehen nach Süden aus,

    Und die Brücknersleut ohne Rast und Ruh

    Und in Bangen sehen nach Süden zu;

    Denn wütender wurde der Winde Spiel,

    Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,

    Erglüht es in niederschießender Pracht

    Überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

     

    »Wann treffen wir drei wieder zusamm ?«

    »Um Mitternacht, am Bergeskamm.«

    »Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

    »Ich komme.«

        »Ich mit.

          »Ich nenn euch die Zahl.«

            »Und ich die Namen.«

              »Und ich die Qual.«

    »Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei!«

                  »Tand, Tand

    Ist das Gebilde von Menschenhand.«

            *

 

        Johann Spratte © (1901 – 1991)

        De Doaenvugel

         

        „Mamme, höer doach es den Vugel

        de doa buten sink,

        Mamme höer doa in de Wiehen,

        achter usen Brink:

         

        „Kläe di witt, dann geeis du mit!“

         

        „Slaup mien Kiend, de Nacht is düster,

        buten geeit de Wiend,

        un de Vüegel slaupet oalle,

        slaup du auk mien Kind ! »

         

        Wehrig ligg et in de Küssen,

        un de Oahm de geeit,

        un dat wackere Gesichtken

        is gans natt van Sweeit.

         

        Mamme hoölt dat heeite Händken,

        un in’n Feiberdraum

        hoört dat Kiend den Vugel roupen

        ut den Wiehenbaum:

         

        „Kläe di witt, dann geeis du mit!“

         

        „Mamme, höers du nich den Vugel?

        Ick mot mit em gaun!“  -

        Dann is et up eeinmoal stille,

        un de Uhr blif staun.

         

        Achtern Huse in de Wiehen

        risket sick de Wiend,

        un de Mamme sitt noa lange

        bi dat doae Kiend.

         

                  *

    aus :

    Johann Spratte, Gelber Wiesenmond. Ausgewählte Gedichte. Lechte Verlag,

     Emsdetten 1980, S. 82f

    Ich danke ganz herzlich  dem Sohn des Autors, Herrn Wido Spratte, Wallenhorst/

    Lechtingen,  für die freundliche Abdruckerlaubnis;  Februar 2011 –  s.a. 

                               In memoriam Johann Spratte

         

                                 

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