Ehepaar_Busch2

 

  Lesen schadet den Augen

 

IMG_0010-red

                             Landstörzerin Courage (Klausurlösung Nils)

 

 Aufgabe 1:  Das Wesen des Schelmenromans am Beispiel des „Felix Krull“

 

Der Schelmenroman (Schelm = altdeutsch: ehrloser Mensch) ist eine Sonderform des Abenteuerromans. Aufgrund der negativen Wertung des Begriffs „Schelm“ wird die Gattung häufig auch Picaroroman (Picaro = spanisch Schelm) genannt. Sie zeichnet sich durch eine Handlung aus, welche häufig von Reflexionen des Schelms über seine Erlebnisse unterbrochen wird.

Die Handlung besteht aus nur lose miteinander verbundenen Ereignissen. Ein solcher Aufbau ist bei Manns „Felix Krull“ auch zu beobachten, wo z.B. zu Anfang des zweiten Buchs eine Reflexion über das Schreiben selbst erfolgt (S. 63f).

Besonders wichtig für den Schelmenroman ist die Hauptfigur, der „Schelm“. Diese hat kein hohes Lebensziel oder die Absicht, die Welt zu verändern, sondern möchte so bequem  wie möglich „über die Runde kommen“. Um dies zu erreichen, setzt der Schelm alle erlaubten und – wenn nötig – auch unerlaubten Mittel ein. Bei Felix Krull zeigt sich diese Eigentümlichkeit schon bei der Simulation der Krankheit, um der Schule bzw. - bei der Vortäuschung der Epilepsie - dem Wehrdienst zu entgehen (S. 40 -47/ S. 107 – 111).

Der Schelm nutzt menschliche Schwächen aus, welche er auch bei Menschen höheren Standes erkennt. Er selbst ist von niederem Stand und daher auf List und Tücke angewiesen. Indem er der Gesellschaft ihre Schwächen zeigt, kann der Schelm vom Autor satirisch verwendet werden. (Als anschauliche Textstelle aus der Exposition des modernen Schelmenromans mag dienen: „Ich stamme aus fein bürgerlichem, wenn auch  liederlichem Hause“,  „Krull“  S.7)

 

Aufgabe 2:  Analyse des Romanbeginns

In dem Textauszug aus dem Roman „Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courage“ von Hans J. Ch. Grimmelshausen (1620 – 1676) aus dem Jahr 1670 erklärt die Hauptfigur Courage die Absicht ihre Lebenserfahrungen niederzuschreiben und verteidigt das Verhalten gegen imaginäre Anzweifelungen.

Das Erzählverhalten ändert sich während des Textes. Zu  Beginn erzählt die Courage im Sie - Erzählstil  und spricht von sich selbst als „die Courage“ (Z 14f).  Ab den Zeilen 37 und 38  („…, dass ich bin…“) wechselt sie in fließendem Übergang in die Ich-Erzählform. Dies deutet auf eine unterschiedliche Erzähldistanz der Courage zu ihrem Erzählten hin.

Interessant ist zudem, was der Leser über die Courage selbst erfährt. Sie ist eine alte gewordene Frau (Z. 3:“ Das Herumtollen ihrer Jugend hat sich geendigt“), welche früher in ihrer Jugend nicht moralisch, sondern sündhaft gelebt hat (Z. 5: „ihre vorigen überhäuften Torheiten“ ; Z. 31: „begangene Laster“; Z. 25 -28: „ ihr Lebtag in allerhand Schand  und Lastern herumgewälzt … noch niemal keine Bekehrung in Sinn kommen, sich unterstehen  mit Gott zu versöhnen“).  Sie bezeichnet sich selbst als „Rabenaas“ (Z. 7) und „alte Vettel“ ( (Z. 22), was von Selbstverachtung zeugt. 

Die Courage hat viele Affären mit Männern gehabt, was sich in den Zeilen 25 („Hurenstücke“) und Z 36 („sanguinischer Antrieb“ ) deutlich zeigt. Ihre Sünden betont die Erzählerin besonders in der Aufzählung von Zeile 25 bis 28  („ mehr Missetaten als Jahre … und mehr gemeine Sünden als Stunden beladen“), was offenbart, dass sie ihr gesamtes bisheriges Leben amoralisch geführt hat.  Auffällig an ihrem Charakter ist die Belustigung über ihre eigene Reue (Z. 35 -38).

Sprachlich gesehen ist die Erzählung sehr zeittypisch. Die Begriffe „Rabenaas“ (Z.7), „Grindsalb“ (Z.16) und „Zeitung“ (Z. 32) sowie die Vorstellung des personifizierten Todes, der anklopft (Z.8), sind eindeutige Merkmale des Barocks. Die Sätze sind überwiegend lange Satzgefüge, welche einige Male von kurzen Sätzen unterbrochen werden (Z.14).

Die Courage verwendet sehr viele Fragen an ein imaginäres Publikum, das über sie (im moralischen Sinne) entscheidet (Z. 14 - 30). Dies zeugt von rhetorischem Können, da hierdurch eine Spannung1 zwischen Erzähler und Leser aufgebaut wird.

Als Erzähleranfang liefert der Textauszug eine gebräuchliche Exposition, indem die Landstörzerin Courage als Hauptfigur und Erzählerin vorgestellt wird. Ihr Motiv ist das „Sich-von-Schuld-Erleichtern“ (Z12f) , der Inhalt des Romans  - wie schon aus dem Titel ersichtlich – das Leben der Heldin.

(Hier sind noch andere Motive zu ergänzen, vor allem das der Rache am ehemaligen Geliebten „Simplicius“, der sie sitzen gelassen hat;  an ihm will sich die Heldin durch ihre Lebensbeschreibung rächen.  Ad)

Lediglich Ort und Zeit des Geschehens werden nicht erwähnt, was darauf schließen lässt, dass es sich nicht um einen historischen, sondern um einen fiktiven Roman, eine fiktive abenteuerliche Lebensgeschichte handelt. Der Schwerpunkt wird damit auf das Wesen der Courage gelegt.

 

Aufgabe 3:   Vergleich beider  Romane

Nach der Analyse des Erzählbeginns des vorliegenden Romanausschnitts über die Landstörzerin Courage  durch den Autor Grimmelshausen ergeben sich Gründe, die von einem Vergleich des Romans mit dem „Felix Krull“ Thomas Manns abraten und solche, die für eine Vergleichbarkeit sprechen.

Auf den ersten Blick wirken beide Erzählungen sehr unterschiedlich. Abweichende Merkmale wie die Sprache und Zeitvorstellungen des Barocks und der Moderne schränken die Vergleichsmöglichkeiten ein.

Mit vielen wichtigen Themen Manns wie dem Künstlermotiv (Der Hochstapler als Künstler) und den mythologischen Aspekten setzt sich Grimmelshausen bei der „Courage“ nicht auseinander. (Jedenfalls nicht in diesem hier vorliegenden Ausschnitt; Ad.) Trotzdem gibt es auch Punkte, in welchen die beiden Werke gut vergleichbar sind.

Beide haben die Form der Bekenntnisliteratur., welche sogar in beiden Fällen – bei „Felix Krull“ besonders deutlich, bei der „Courage“ durch die Belustigung über ihre Reue oder eine religiös ausgerichtete Motivation (barocktypische Angst vor der Hölle und Sorge um das Seelenheil; Ad) (Z 37f)  -  karikiert wird.

Die Hauptfiguren sind ebenfalls vergleichbar: Sie führen ein amoralisches, vergnügungsreiches Leben, haben viele Liebschaften und begehen Straftaten wie z.B. Diebstahl  (Courage: Z.  26; Krull: S.47 und an anderer Stelle).

Zu überprüfen wäre auch, ob Courage wie Krull ein typischer Schelm ist, worauf z.B. die Belustigung über ihre Reue hinweist. 2

Beide Werke sind an den „Simplicissimus“ von Grimmelshausen angelehnt. Während Felix Krull alles beschönigt, beschimpft sich die Courage sogar selbst. Auch bei diesen kleinen Differenzen halte ich die Charaktere der Hauptfiguren zumindest für ähnlich und die Werke für gut vergleichbar.

                                                                            *

1 Vielleicht wird dadurch die Neugier des Lesers geweckt und er wird indirekt zur Beurteilung aufgefordert.

2  Die Bekenntnisliteratur wird parodiert.

Kommentar:

Eine rundum geschlossene, gute Klausurleistung; Gelerntes wird auf den Textausschnitt angewendet und die Parallelität  beider Schelmenromane geprüft. Die Motivation der auktorialen Ich-Erzählerin für ihr Bekenntnis, das Rachemotiv und die Ablehnung eines religiösen Bedürfnisses nach Entschuldung könnte noch deutlicher herausgestellt werden.   (Aber Sie hatten auch nur zwei Schulstunden  Zeit.)

                                                                                          

                                                                                   Nils Leder © -   GBE   06/2007   (Ad)

 

          Landstörzerin  Courage  (Ausschnitte aus gelungenen Klausurlösungen)

 

Aufgabe 1  (Lars ©) Das Wesen des Schelmenromans am Beispiel des „Felix Krull“

 

Die Hauptfigur im Schelmenroman ist der Schelm. Dieser ist kein Verbrecher, zumindest wird er nicht als solcher dargestellt. Er will lediglich überleben, aber auch nicht zu schlecht. Er möchte also einen gewissen gesellschaftlichen Rang „erreichen“. Durch seine Herkunft oder einen Schicksalsschlag ist er meistens arm, bevor er seine Reise startet. Er überlebt durch Schlauheit und rhetorische Begabung. Der Schelm hat kein Lebensziel, er lebt von Situation zu Situation. Er will die Welt nicht verbessern, sondern hat nur sein Leben im Kopf.

In der Literatur macht der Schelm die Schwächen der Gegner sichtbar und dient so als Instrument der Satire. Ob er im Schelmenroman beim Leser eine positive oder negative Wirkung hervorruft, wird durch den Autor gelenkt. Er kann den Schelm als skrupellos oder als weniger skrupellos darstellen.

Der Romantyp hat seinen Anfang in Spanien, so um die Zeit, in der die gesellschaftliche Einteilung in Stände zerfällt.  Der Schelmenroman wird auch als pikarischer Roman (span. picaro = Landstreicher, Schelm) bezeichnet und fällt in die Kategorie der Abenteuerromane. Meistens ist die Ich-Erzählung die bevorzugte Wahl des Autors, um die Lebensberichte oder Memoiren zu übermitteln.

Ein signifikantes Zeichen des Schelmenromans ist es, dass immer wieder eingeschobene Geschichten und wechselnde Schauplätze den Handlungsstrang durchkreuzen und ein vorgegebenes Ziel nicht deutlich erkennen lassen. Dies kann man am modernen Beispiel  „Felix Krull“ entdecken, denn der Roman Thomas Manns ist in der Ich-Erzählperspektive verfasst. Zudem hat er kein geschlossenes Ende und somit ist auch das Ziel nicht sichtbar.  Felix hat ebenfalls die Grundzüge eines Schelms: Er ist im moralischen Sinne weder ganz gut noch ganz böse   (s. Die Kindheitsepisoden im Delikatessladen) und ist durch einen Schicksalsschlag wieder arm geworden, denn der Vater hat die Sektfirma heruntergewirtschaftet und dann Selbstmord begangen. Durch seine rednerische Gewandtheit übersteht der Held Felix oft eine brenzlige Situation und kann seinen Lebensweg fortsetzen. Sein „Ziel“ gilt nur dem eigenen Selbst  (Narziss-Motiv). Er will einen höheren gesellschaftlichen Rang erreichen, aber nicht die Welt verbessern. Auch zeigt er so manche Schwächen der Menschen auf. Als Beispiel kann hier angeführt werden, dass Felix den Hausarzt täuscht und dieser dann nicht weiß, was dem Kind gesundheitlich fehlt und einfach aus Ratlosigkeit eine Grippe diagnostiziert. So deckt Felix die fachliche Inkompetenz des Sanitätsrats Düsing auf:  „Dumm und streberisch hatte dieser unwürdige Jünger des Äskulap sich den Sanitätstitel durch persönliche Verbindungen, Weinhausbekanntschaften und Protektionswesen  verschafft…“ (S.43)     

                                                                            Lars Alschner © GBE  Jg. 12 -  06/ 2007

 

 

Aufgabe 2 (Katrin ©)    Analyse des Romanbeginns

Im Romanbeginn des Romans „Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courage“ aus dem Jahr 1670 von Hans J. Ch. Grimmelshausen beginnt die Protagonistin ihr Leben zu reflektieren. Dabei erzählt sie zuerst in  der 3. Person von sich und beschreibt in diesen Passagen, wie andere von ihr denken könnten. Diese Textabschnitte lassen eine kritische Betrachtung ihres Lebens vermuten, doch später wird klar, dass sie ihre „Generalbeicht“ (Z 32) nur ablegt, um bei den Leuten Verwunderung über diese „Lebensbeichte“ hervorzurufen und sie anschließend auszulachen: „Ja, werdet ihr sagen, ihr Herren…“ (Z 1); „Ja, ihr lieben Herren, das werdet ihr sagen.“ (Z 14 ; vgl. Z 31 – 34)

Von diesem Abschnitt an wechselt die Courage zur Ich-Erzählform. Sie schreibt zwar, dass sie an Bekehrung gedacht habe (Z. 38), schreibt aber auch, dass es ihr dazu an Reue fehle und sie ihren Neid nicht überwinden könne (Z.43f).

Sie gibt der Gesellschaft (den „Pfaffen“) die Schuld daran, da sie zu spät auf den richtigen Weg hätten weisen wollen und nicht schon vorher, als sie noch in Unschuld gelebt habe (Z 55) und dem Neid hätte widerstehen können. Da ihre Schreibmotivation also nicht die Bekehrung (im typisch barock-religiösen Sinne; Ad)  ist, was sie ja selbst betont, offenbart sie im letzten Abschnitt ihre wahre Schreibmotivation, die ebenso unehrenwürdig ist wie ihre ganze Lebensgeschichte: Sie wolle sich am Simplicissimus rächen (Z 63), da er sie für ein Liebesabenteuer ausgenutzt und danach spöttisch davon erzählt habe (Z 65). Sie tue dies, damit dieser sich wünsche, darüber lieber Stillschweigen gewahrt zu haben  (Z 69f).

 

Aufgabe 3  Vergleich beider  Romane

Wie auch Felix Krull beschreibt die Courage ihre Lebensgeschichte. Auch in der               „ Courage“ wird die Bekenntnisliteratur parodiert, da es zwar auf den ersten Blick wie ein Bekenntnis erscheint, später aber nur als Rache enttarnt wird. Die Heldin weist typische Merkmale eines Schelms auf. Auch sie ist von Anfang am in ihrem Charakter festgelegt und sagt von sich selbst, dass sie sich nicht ändern könne. (Es deutet sich also kein Entwicklungsroman an; Ad) Sie geht bei ihren Missetaten aber böswilliger als Felix Krull vor. Der will niemandem schaden, aber Courages Schreibmotivation, die Rache, ist allein schon böswillig. Courage bezeichnet sich zudem selbst als „Schell“. (Schelle kann Glocke meinen, mit der Ausrufer Neuigkeiten vermitteln; Schelle kann aber auch Ohrfeige bedeuten; Ad)

Courage scheint ebenso wie Felix Krull  Freude an der Maske, dem Rollenwechsel zu haben (Z 14ff). Sogar für ihre Rache nutzt sie den Schein der Beichte aus. In diesem Romananfang ist ganz deutlich das Motiv von Schein und Sein zu erkennen. Die Passagen in der 3.Person zeigen die gedachte Wirkung auf die „Herren“, den Schein, wie das Bekenntnis bei den anderen Menschen wirken könnte; und die Textpassagen in der Ich-Form geben das Sein wieder, die wirkliche Motivation der Landstörzerin.

Als letzte Gemeinsamkeit beider Romanhelden: Die Liebesgeschichte mit dem Simplicius scheint ebenso wie die Liebesepisoden Krulls nur auf das Sexuelle beschränkt gewesen zu sein.

Zusammengefasst: Auch dieser Romananfang weist Merkmale des Schelmenromans und der Bekenntnisliteratur auf.

                                                                               Katrin Grützmacher © GBE Jg. 12  06/ 2007

 

> PDF Landstörzer (Lösung)

> PDF Landstreicher-Klausur

 

> Romantypen

>  Abenteuer    -     Entwicklung     -    Zeit  

> Ich - Erzähler